Vogelhäuschen in der Seele

Altgediente Indie-Popper: They Might Be Giants spielten am Freitag im Columbia Theater ihr zweites Berliner Konzert überhaupt

Richtig ergreifend wurde es bei „She’s An Angel“, ihrer surrealistischen Hymne an die Liebe

Von René Hamann

Irgendwann war es vorbei. Im Prinzip lässt sich der genaue Zeitpunkt bestimmen: Es war der Moment, in dem das Video zur neuen Single „The Guitar“ über den Bildschirm flimmerte. Das war 1992. „The Guitar“ war eine ziemlich läppische Modifikation des uralten Hits „The Lion Sleeps Tonight“, und die Relevanz des Ganzen konnte nur noch in Minuswerten gemessen werden. Es war 1992, es gab Grunge, bald sollte es Weezer, Pavement und Britpop geben. Die Alben der Giants interessierten niemanden mehr.

Schade war das. They Might Be Giants (TMBG), zwei junge Nerds mit Vornamen John aus New York, hatten in den ausgehenden achtziger Jahren für die helllichten, witzigen Momente in der ansonsten so steifen wie endcoolen Atmosphäre einer durchschnittlichen Indie-Disko in der Provinz gesorgt. Die Single „Ana Ng“ war zackig genug, um nicht als seichter Mainstream durchzugehen. „Birdhouse in Your Soul“ umso mehr.

Das Stück von der hervorragenden LP „Flood“ schaffte es in die englischen Top 10. Es lief in der Popsendung „Formel Eins“. TMBG markierten wie die Pixies vielleicht die Geburt des Indie-Pops: clevere Songs mit witzigen Texten, schräg genug, dass sie gegen Bros, Michael Jackson oder Stock, Aitken, Waterman gut dastanden.

Am Freitagabend, wir schreiben das Jahr 2018, gastierten John und John im Columbia Theater. Es war das erste Konzert der „Giants“ in Berlin seit Dekaden, es war überhaupt erst das zweite in der Hauptstadt. Dementsprechend herrschte freudige Erwartung im nicht ganz ausverkauften Saal. Lustig, wie das Publikum die Band spiegelte: Mehrheitlich waren lustige Nerds in gemütlichen Körpern zugegen; es waren vielleicht zehn Menschen unter 25 da (die sich vermutlich von der Titelmusik zu „Malcolm Mittendrin“ von der Band haben einnehmen lassen).

Das karierte Hemd wurde nahezu geschlechtsunabhängig gern tragen. Die beiden Johns sahen lustigerweise auch immer noch aus wie früher, nur in älter gewordenen Körpern. TMBG sind in voller Kapelle angetreten, also insgesamt zu sechst, besonders der Trompeter sollte ausreichend Gelegenheit zur Selbstdarstellung bekommen.

Welche Optionen hat eine hochmusikalische Band, die überraschend früh alle ihre kompositorischen Möglichkeiten ausgeschöpft hat? Fernsehen, Kleinkunst, Jazz heißen hier die Antworten, und es spricht für TMBG, das sie zumindest versucht, für weitere Brüche zu sorgen.

Aber live erinnerte das Comeback der witzigen New Yorker an späte Woody-Allen-Filme: von subtiler Bösartigkeit, aber eigentlich irgendwie schon zigmal gesehen, dann auch schal, oberflächlich, und von einer zu ausgestellten Mischung aus Dilettantismus und Kunstfertigkeit. Ja, die Free-Jazz-Teile kann man „postmodern“ nennen. Oder auch „nervig“. Ja, das Schlagerhafte ist immer noch witzig. Aber warum wurden die Samp­ler und Beatboxes durch dieses Bierzeltschlagzeug ersetzt? Und sind gebrochene Rockklischees nicht immer noch Rockklischees? Und was soll all dieser Jazz?

Aber egal. Sie spielten zwei Sets mit vielen neuen Stücken. Die Höhepunkte bildeten natürlich die alten. Es gab schöne Versionen von „Particle Man“ und „Whistling in the Dark“. So richtig ergreifend wurde es aber nur bei „She‘s An Angel“, ihrer surrealistischen Hymne an die Liebe, die einem immer noch die Schuhe auszieht. „When you’re following an angel, does it mean you have to throw your body off a building?“

Hoffentlich nicht.