Ruchlose Killerin im Sommerkleidchen

Selten hatte Mode einen so maßgeblichen Anteil am Plot wie in der BBC-Serie „Killing Eve“ – nicht nur, weil die Protagonistin schon mal mit Haarnadeln mordet

Eine Frau sieht rosa: Villanelle (Jodie Comer) Foto: BBC America/picture alliance

Von Annabelle Hirsch

Es könnte sein, ja es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass die BBC-Produktion „Killing Eve“ – eine Serie, die in den USA bereits seit diesem Frühling gefeiert wird, in Deutschland leider noch nicht ganz angekommen ist – eine kleine Revolution sein wird. In Bezug auf die Rollen, die man Frauen in Filmen und Serien gibt. In Bezug auf die Art und Weise, wie man diese Rollen erzählt. Aber vor allem auch, und darum soll es hier hauptsächlich gehen, in Bezug darauf, wie man diese Rollen kleidet – und was über diese Kleidung so alles erzählt wird. In diesem Fall wäre das: ganz einfach alles.

Selten hatte die Mode in einer Serie einen so maßgeblichen Anteil am Plot, nie drückte sie so viel so subtil aus wie in dieser. Vor allem aber war sie nie so frei vom berühmten „männlichen Blick“. Klar, „Sex and the City“ wäre ohne Manolo Blahnik, große Pelzmäntel und Carries weißes Tutu im Vorspann nur halb so schön und sicher nicht ansatzweise so erfolgreich gewesen. Nur sagten die Looks der vier Ladys grundsätzlich ja nicht vielmehr aus, als dass wir es hier mit unabhängigen Frauen zu tun haben, die, wie unabhängige Frauen das eben oft und gerne machen, viel Geld für Klamotten ausgeben.

Carrie kleidete sich sexy, lustig und extravagant, weil sie sexy, lustig und extravagant war, Charlotte mochte es eher elegant und brav, weil das Leben, dass sie sich wünschte, eben genau so sein sollte. Die Frauen und ihre Kleidung standen hier in einer kohärenten, klassischen Beziehung zueinander, über die Figurenbeschreibung hinaus hatte die Mode allerdings keinen weiteren symbolischen Wert. Sie funktionierte nur insofern für den Plot, als dass sie dazu diente, zu finden, worum es am Ende ging: Männer und Sex.

Ganz anders bei „Killing Eve“. Dort findet man zwar, wie schon bei „Sex and the City“, wie in der US-Serie „Big Little Lies“, wie neuerdings in einigen Serien und Filmen, einen hauptsächlich weiblichen Cast. Alle Hauptrollen werden von Frauen gespielt, so wie überhaupt fast das ganze Team, von der Produktion über das Skript bis zum Kostüm, hauptsächlich weiblich besetzt ist. Nur sind die Frauen, die wir hier treffen, weder lustig aufgekratzte New-Yorkerinnen auf der Suche nach der Liebe noch dramengeschüttelte Vorstadt-Mütter, sondern zwei Ausnahmefiguren: eine Auftragskillerin und eine Geheimagentin.

Villanelle, der weibliche „villain“, gespielt von der fantastischen Jodie Comer, ist eine Auftragsmörderin mit sehr ausgeprägtem Sinn für Ästhetik und unterentwickeltem Gefühl für Moral. Sie jettet quer durch die Welt, in die Toskana, nach Bukarest oder Berlin, bringt hier und dort Leute um – und fragt sich nie, warum sie das eigentlich tut. Ihr gegenüber steht Eve, gespielt von Sandra Oh, die man bisher vor allem als Christina Yang in „Grey’s Anatomy“ kannte. Eve ist eine Angestellte des Security Service MI5, sie ist verheiratet, ziemlich gelangweilt in ihrem Leben und Job und sehnt sich nach mehr Aufregung. Irgendwo ganz am Anfang sagt sie einmal deprimiert: „Trouble is not interested in me“, was sich schnell ändert, als der MI6, der britische Auslandsgeheimdienst, sie anheuert, um die mysteriöse Villanelle zu suchen. Ab da beginnt ein großartiger, verquerer Tanz zwischen diesen beiden Frauen, die im Laufe der Zeit eine irgendwie erotisch gelagerte Obsession füreinander entwickeln.

So viel zum Plot. Nun ist hier natürlich an sich schon interessant, dass die Hauptfiguren in einem so männlich konnotierten Genre wie dem Spion-versus-Killer-Thriller zwei Frauen sind und die Männer in der Geschichte nur als leicht trutschige, ängstliche Sidekicks mitspielen dürfen. Noch viel interessanter ist aber, dass die britische Screenwriterin Phoebe Waller-Bridge nicht die bekannten Stereotypen der „super sexy Mörderin“ und „super thoughen Agentin“ aufgreift, also keine weibliche Klischeeversion des männlichen Vorbilds präsentiert, sondern Frauen zeigt, so wie Frauen eben sind: krass und mädchenhaft zugleich.

Und das funktioniert, man ahnt es schon, ganz viel über die Mode. Oder, wenn man es etwas breiter fassen will, über einen gewissen Stil. So reist Villanelle zum ersten Mord, dem wir aktiv beiwohnen, in Jeansshorts und türkisfarbener Schluppenbluse an, schlüpft zum Töten aber in ein hellblaues Sommerkleid von Burberry. Für einen Auftrag in Berlin trägt sie eine grüne Lederjacke von JW Anderson und Abends einen Brokatanzug von Dries Van Noten.

Jenseits bekannter Stereotype, etwa dessen der „sexy Mörderin“, zeigt die Serie Frauen, wie sie eben sind: krass und mädchenhaft zugleich

Und wenn sie zu ihrem Boss vorgeladen wird, damit der evaluieren kann, ob sie noch geeignet ist für diesen Job, dann trägt sie keinen strengen schwarzen Catsuit, sondern ein ausladendes bonbonrosafarbenes Tüllkleid von Molly Goddard zu klobigen Givenchy-Boots. Überhaupt wird immer wieder ganz direkt thematisiert, dass Villanelle, die zwischen ihren Aufträgen in einem schicken Appartement in Paris (Stadt der Mode!) lebt, ihr gesamtes durchs Morden verdiente Geld in teure Klamotten, Parfüms und sonstige schöne Gegenstände steckt, weil Ästhetik offenbar ganz allgemein ihr Ding ist. So auch beim Töten.

Es scheint fast, als habe Waller-Bridge für ihr Skript noch einmal Thomas de Quinceys „Der Mord als schöne Kunst betrachtet“ gelesen, indem der Essayist des 19. Jahrhunderts in dekadenter Tradition meint, der Mord sei moralisch zwar verwerflich, könne ästhetisch aber überaus reizvoll sein. Also, paraphrasiert: Wenn schon Morden, dann doch bitte mit Klasse. Und die hat Villanelle. Statt ein gewöhnliches Messer, ein Jagdgewehr oder sonst irgendetwas Banales zu nutzen, rammt sie ihrem Opfer gerne mal eine goldene Vintage-Haarnadel ins Auge, vergisst dabei aber nicht, sich zuvor noch über die Designerin des schicken Bettbezugs zu erkundigen. Ein anderes Mal, auch nicht schlecht, tötet sie eine Frau mit einem selbstgebrauten Parfüm oder verkleidet sich als Fetisch-Krankenschwester. „Sie hat keine Signatur, aber sie hat definitiv Stil“, sagt Eve da einmal, „dafür sollte sie töten dürfen, wenn immer sie töten will.“

Die Frage des Stils ist in der Beziehung zwischen den beiden Frauen zentral. Eve hat, der anfänglichen Langeweile ihres Lebens entsprechend, keinen – sie trägt graue Regenmäntel und komische Hemd-Pulli-Kombinationen, sie ist die Schattenexistenz, während Villanelle mit ihrer Kleidung angibt, fast so als wolle sie sagen: Ich bin ganz offensichtlich da, fang mich doch! Der erste reale Kontakt der beiden findet auch vor einem Spiegel statt, als Villanelle zu Eve sagt: „Lass die Haare offen!“ – und etwas später über Kleidung, die die Killerin der Agentin schickt: ein hautenges Roland-Mouret-Kleid zu schwarzen Pumps, in denen Eve plötzlich wie eine andere Frau wirkt. Eine Frau, wie sie von einer Frau gesehen wird. In ihrer ganzen Komplexität. Ganz weit weg von den eindimensionalen Bildern, die uns die männlichen Interpretationen und Vorstellungen der starken Frau uns bisher präsentiert haben. „Killing Eve“ öffnet neue Visionen von Weiblichkeit, die schonungslos und amoralisch sind. Aber eben auch von tollen Kleidern, guten Bettbezügen und der ewigen Frage „Haare auf? Oder Haare zu?“ handeln.