Streit über Naturschutzkonzept: Moore vs. Wälder

Das Land Niedersachsen will für den Naturschutz landeseigene Flächen verwildern lassen. Weil der Plan auch Moore betrifft, protestieren Naturschützer.

Eine Moorlandschaft ohne Bäume.

Ins Bissendorfer Moor gehören aus Sicht des BUND keine Bäume Foto: Reinhard Loehmer/BUND

HANNOVER taz | Wenn sich die Natur den Wald zurück holt, Totholz am Waldboden verrottet und die vom Menschen angelegten Schneisen langsam zuwachsen, ist das eigentlich gut für die Artenvielfalt. Niedersachsen will deshalb nun einen Teil seiner Wälder verwildern lassen. Auf insgesamt zehn Prozent der Waldflächen, die das Land besitzt, soll nicht länger Forstwirtschaft betrieben werden.

NWE10 heißt das Naturschutzkonzept (siehe Kasten). Die Umweltschutzorganisation BUND allerdings ist mit den Plänen trotzdem so unzufrieden, dass sie eine Klage erwägt. Denn die Flächen, die das Land für NWE10 festgelegt hat, befinden sich nicht nur in bestehenden Wäldern, sie liegen auch in geschützten Mooren. Damit drohen sich zwei Naturschutzprojekte zu kannibalisieren.

Axel Ebeler, stellvertretender Landeschef des BUND, hält den Erlass, den das niedersächsische Landwirtschaftsministerium im Juli veröffentlicht hat, sogar für „in Teilen rechtswidrig“. Wenn er umgesetzt würde, beeinträchtige er landes- und europaweit geschützte Lebensräume, wie etwa das Bissendorfer Moor in der Wedemark bei Hannover. Es gilt als das am besten erhaltene Hochmoor in Niedersachsen, liegt in einem Naturschutzgebiet und wird durch EU-Mittel gefördert.

Glocken- und Besenheide wachsen hier, aber auch Wollgras und Torfmoose. Es sei gerade die Arbeit der ehrenamtliche Naturschützer, im Moor einen Gehöltzaufwuchs zu verhindern, sagt Ebeler. Sie entfernen per Hand junge Bäume und Triebe aus der Moorlandschaft, damit sich kein Wald entwickelt. Das sei wichtig, um die Lebensbedingungen für die typischen Moorarten zu verbessern.

Das Programm zur Natürlichen Waldentwicklung in Niedersachsen, kurz NWE10, sieht vor, dass bis zum Jahr 2020 zehn Prozent der Fläche des landeseigenen Waldes dauerhaft einer natürlichen Waldentwicklung überlassen wird.

Das Ziel sind 33.320 Hektar natürlicher Wald.

Forstwirtschaft ist in diesen Bereichen ausgeschlossen. Der Mensch greift möglichst gar nicht mehr ein und auch Wege und Bauwerke, die nicht mehr benötigt werden, sollen aufgegeben werden.

So will das Land den Verlust an Vielfalt der Arten, der Lebensräume und der genetischen Vielfalt bremsen.

Moorschutz betreiben die EU und das Land in Niedersachsen ebenfalls. Derzeit fließen mehr als 23 Millionen Euro in Projekte zur Regeneration von Mooren.

„Mit dem neuen Erlass werden nun alle bisherigen Anstrengungen ad absurdum geführt“, sagt Ebeler. Im Bissendorfer und im Otternhagener Moor, das über das Projekt Life+ ebenfalls durch EU-Mittel gefördert wird, nehme die Landesregierung in Kauf, „dass die Europäische Union hohe Geldsummen vom Land zurückfordert, da Förderbestimmungen für europäische Naturschutzprojekte missachtet werden“. Niedersachsenweit seien zehn Moorgebiete sowie wertvolle Grünland- und Heideflächen betroffen.

Die Kritik des BUND bezieht sich auf rund 800 von insgesamt 33.320 Hektar Wald, die das Land Niedersachsen der Natur überlassen will. Die Flächen sind seit 2015 im Gespräch. Seither fordern BUND, Nabu und Greenpeace, die Moorflächen auszusparen. „Damals wurde uns zugesichert, dass das noch einmal geprüft würde“, sagt Susanne Gerstner vom BUND. Dass die Flächen in dem aktuellen Erlass nun einfach festgeschrieben seien, habe den Verband „sehr überrascht“. „Es wurde zementiert, was von uns jahrelang kritisiert wurde.“

Das Landwirtschaftsministerium kann die Kritik nicht nachvollziehen. Auch Moore und die dort vorhandenen oder sich entwickelnden Moorwälder seien Teil der Biodiversität und könnten daher mit dem NWE10-Projekt geschützt werden, sagt Ministeriumssprecherin Sabine Hildebrandt.

Hildebrandt bestätigt, dass Teilflächen der Moore NWE10-Flächen werden sollen. Welche Gebiete genau, stehe aber noch nicht fest. „Große Flächen sollen als Moor erhalten, entwickelt oder falls erforderlich renaturiert werden“, sagt Hildebrandt. „Teilflächen, die zukünftig ohne Pflegemaßnahmen auskommen, werden in die NWE10-Kulisse aufgenommen und entwickeln sich frei von menschlichem Einfluss.“

Doch auch der Nabu fordert, dass das Landwirtschaftsministerium das korrigiert: Durch die natürliche Waldentwicklung dürften „keine wertvollen Offenbiotope, wie geschützte Moor-, Heide- und Wiesenflächen verloren gehen“, sagt Nabu-Sprecher Philip Foth. NWE-Flächen dürften nicht in natürlicherweise baumfreien Biotoptypen liegen. Der Nabu wünscht sich zudem, dass die Naturschutzverbände erneut an der endgültigen Bestimmung der NWE-Flächen beteiligt werden.

Gesche Jürgens von Greenpeace hält es für eine falsche politische Entscheidung, dass das Land Moorflächen in das Programm aufnehmen will. „Niedersachsen hat viele geeignetere Flächen.“ Aber das Land wolle offensichtlich möglichst viele Wirtschaftswälder weiterhin forstlich nutzen.

Auch der ehemalige Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) vermutet eine „Trickserei“. Hier werde das Zehn-Prozent-Ziel schön gerechnet. Das ehemalige rot-grüne Kabinett habe beschlossen, dass Flächen, die sich aus rechtlichen Gründen nicht eigneten – etwa die Moore – geprüft und durch andere Flächen ersetzt werden sollten. Diese Prüfung schließt der neue Erlass nun aus. Die von der EU geförderten Moorvernässungen dürften jedoch nicht durch den Erlass konterkariert werden, so Meyer.

Die niedersächsische FDP befürwortet hingegen, dass Moore zu NWE10-Flächen werden. Für das Programm eigneten sich Flächen, „auf denen eh keine wirtschaftliche Nutzung des Waldbestandes möglich“ sei, sagt der FDP-Forstpolitiker Hermann Grupe. „Es muss einen Weg geben, die Naturschutzziele zu erreichen und gleichzeitig wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen.“

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