Hans Christian mit den Scherenhänden

Mit zahlreichen Scherenschnitten und Collagen präsentiert die Kunsthalle den dänischen Märchenerzähler Hans Christian Andersen als Künstler der Moderne

Wenn Märchenonkel Hans Christian Andersen zur Schere greift: Blumenkind mit durchwachsener Laune Bild: Hans Christian Andersen, Der Botaniker, 1848, Königliche Bibliothek Kopenhagen

Von Jens Fischer

Im Februar 1843 besuchte ein dänischer Kulturtourist die Bremer Oper und eine Ausstellung des Kunstvereins. 175 Jahre später ist er dort nun wieder zu Gast. Naturgemäß nicht in persona, aber mit seinem spätromantischen Märchenonkelruhm und einer Ansammlung eigenhändiger Zeichnungen. Aber auch mit Scherenschnitten und Collagen, die in ihrer frischen Modernität vom aktuellen Kunsthallendirektor Christoph Grunenberg in die Nähe des Spätwerks von Matisse und die dadaistisch merzende Montagekunst Kurt Schwitters gerückt werden. Für ihn sei der bildende Künstler Hans Christian Andersen eine Entdeckung, „ja eine Offenbarung“. Als Schriftsteller ist Andersen in Dänemark bereits ein Nationalheiliger und in deutschen Kinderseelen als fabulös fantasietobender Erzählkünstler geborgen. Sein literarisches Können rühmen erwachsene Leser, wenn sie das Grausliche hinter dem Niedlichen und die Sujets als Verstecke geheimer Ängste und Sehnsüchte entdecken. Kann Andersens mit Stift, Schere und Kleber geschaffenes Werk da mithalten?

Zum Entree wird der lokale Aspekt serviert – auf einer historischen Stadtansicht Bremens sind die Orte markiert, an denen Andersen sich einst aufgehalten hat. Porträts von ihm bekannten Zeitgenossen sollen seine Vernetzung in der Kunstwelt beweisen, wie Kurator Detlef Stein erzählt. Weiter geht’s mit Zeichnungen des Meisters, die er für seine Arbeit am Roman „Der Improvisator“ als Gedächtnis stützende Ansichtskarten auf seinen Reisen angefertigt hat. Blicke aus dem Hotelzimmer in Rom, auf den Vesuv und die Ponte Vecchio. Dromedar vor Akropolis, „Orientalen“ am Straßenrand, marokkanische Küsten- und alpenländische Gebirgsseenlandschaften. Als einer, der sonst Buchstaben aufs Papier malt, erweist sich Andersen beim Skizzieren als etwas ungelenk in der Linienführung und perspektivischen Präzision.

Konturierte Miniaturen sowie die Fläche auflösende Ornamente lassen sogar surreale Welten entstehen in Raum 4. Er zeigt den Schnipp-Schnapp-Künstler. Zeichnen mit der Schere. Schnippelt Andersen doch aus Papier mit hoher Virtuosität mal kauzige, mal dämonische, mal goldige Ballerinen-Figuren und arabeske Szenarien. Filigranes Kunsthandwerk von verblüffendem Detailreichtum. Für den Künstler waren es fix gefertigte Geschenke, die als Weihnachtsbaumanhänger und Laternendeko genutzt oder in Alben geklebt wurden. Erst 30 Jahre nach seinem Tod erscheint erstmals ein Buch, das diese zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit changierenden Arbeiten zur Bebilderung seiner Märchen nutzt.

Andersen experimentierte weiter, kombinierte seine Ausschnittkunst mit farbigen Papierfetzen sowie schriftlichen Ergänzungen. Hier wird es interessant. Das ist Collagenkunst von 1850 – die erst 60 Jahre später von beispielsweise Picasso, Braque, Hannah Höch, Max Ernst oder Kurt Schwitters in die Kunstgeschichte so richtig eingeführt wurde. Leider untersucht die Ausstellung diesen Aspekt nicht weiter. Sondern prunkt noch mit ein paar Beispielen, wie Andersen moderne Künstler angeregt hat. Was eine eigne Ausstellung wert wäre. Aber auch die wenigen Beispiele – von Lotte Reiniger über Andy Warhol zu Kara Walker – sind die künstlerischen Höhepunkte dieser Schau. Weiterdenken mit Andersen: Das macht Spaß.

Bis 24. Februar 2019, Kunsthalle