Ein männlicher Teenager vor der Befreiung

Schon gut und smart aufgeschrieben, aber … „Junger Mann“ von Wolf Haas

Von Peter Unfried

Wolf Haas hat eine kleine Erzählung kerzengerade aufgeschrieben. Ich-Erzähler. Fertig. Das ist zunächst ein verstörender Befund, weil damit rechnet man nicht. Das Wiener Magazin Falter – eigentlich Haas-Fan urteilte ganz fies („liest sich nicht unspannend“) und fragte spontan, ob Haas ein unveröffentlichtes Manuskript aus der Schublade gezogen habe, quasi aus der Ära vor dem Brenner-Franchise. Damit hat Haas das Detektivkrimi-Genre auf der Basis menschlicher Entfremdung im Kapitalismus auf ein hohes Niveau gehoben und dem Deutschen ein geflügeltes Wort geschenkt („Es ist schon wieder was passiert“). Die beiden Romane ohne Brenner hatten eine noch raffiniertere Erzählstruktur.

„Junger Mann“ ist die Ich-Geschichte eines dicken Jungen, der zur Zeit der Ölkrise während der Schulferien an einer Tankstelle arbeitet. Er ist zwölf, so wie Haas 1973 zwölf war. Er geht aufs kirchliche Internat, wie Haas aufs Internat ging. Seine Eltern sind Saisonkellner, so wie Haas’Eltern. Aber eine autobiografische Grundstruktur ist ja nicht strafbar. Die Frage ist, was man damit macht.

An der Tankstelle im Winter sieht der junge Mann im Auto vom Dorfchecker Tscho beim Freikratzen der Beifahrerseite dessen Frau. Elsa, 20, kommt aus dem übernächsten Nachbardorf, also von ziemlich weit weg. Sie lächelt ihn an. Bum. Erste große Liebe. Vor Zeiten der künstlichen Intelligenz war das ja ein zentraler emotionaler Erinnerungsanker eines menschlichen Lebens.

Der Dicke beschließt, für sie abzunehmen. Am Ende hat er 15 Kilo verloren und seine ­Unschuld. Jetzt allerdings nicht geschlechtsverkehrmäßig, sondern im Sinne des Wortes. Mit dem Tscho lernt er erst die Welt kennen: Jugos, Griechen, Rotlicht, Nylonstrümpfe, Nebenfrauen, Pistolen, Krebs. Und dann lernt er, dass sie sich nicht um ihn allein dreht.

Also: Coming of Age in Austria und auf dem Balkan, eine Ich-Welt, in der die „Zeit“ nur schemenhaft auftaucht, so wie das im wahren Leben auch ist, ehe man die rational-zeitgeistliche Kontextdecke drüberwirft. Schon smart aufgeschrieben, auch wenn man die fehlende Brenner-Sophistication nicht als Entschlackung erlebt, sondern als Reduzierung. Dieser emotionale Rücksturz in die unfassbar kleine Gefängniszelle eines männlichen Teenagers vor der Befreiung, das ist schon gut.

Und damit zum ungerechten Hinterher-Gemaule. Jetzt, wo es darum geht, etwas über die Welt zu sagen, was über die ironisch-distanzierte oder gar bierernste Kapitalismuskritikkolportage rauskommt und über Oberflächenpolitur, da muss von unseren Besten endlich etwas kommen, das über das „Weiter so“ oder den Rückzug ins Nostalgische und Private hinausweist. So gesehen muss man über Wolf Haas’neues Buch leider sagen: Es ist schon wieder nichts passiert.

Wolf Haas: „Junger Mann“. Hoffmann & Campe, Hamburg 2018, 240 Seiten, 22 Euro