Kolumne Geht’s noch?: Gar nichts abgeschlossen

Im Mordfall Marinova wurde ein Verdächtiger festgenommen. Die Missstände, die ihr Tod offenbarte, sollen vom Tisch sein? Von wegen!

Blumenkranz auf der Beerdigung der ermordetetn Journalistin Viktoria Marinova.

Marinova recherchierte über mutmaßlichen Betrug mit EU-Fördergeldern in Bulgarien Foto: ap

Der Mord an der bulgarischen Fernsehjournalistin Viktoria Marinova scheint aufgeklärt. Ein bulgarischer Staatsbürger ist in Deutschland, wohin er sich geflüchtet hatte, festgenommen worden und soll in den nächsten Tagen nach Bulgarien überstellt werden.

Abgeschlossen ist der Fall damit allerdings nicht: Denn gegenüber der deutschen Staatsanwaltschaft hat der Mann lediglich zu Protokoll gegeben, unter Einfluss von Alkohol und Drogen im Zuge eines zufälligen Streits Viktoria Marinova geschlagen und in ein Gebüsch geworfen zu haben. Einen Tötungsvorsatz bestreitet er ebenso, wie die Journalistin vergewaltigt und beraubt zu haben.

Hier werden die bulgarischen Behörden, die von einer besonders brutalen Tat und von Vergewaltigung sprachen, für Aufklärung der Widersprüche sorgen müssen. Ein politisch-ökonomisches Motiv für den Mord an der Moderatorin, die in ihrer letzten Sendung Recherchen über vermuteten Betrug mit EU-Fördergeldern in Bulgarien Öffentlichkeit verschafft hatte, ist jedenfalls noch nicht ausgeschlossen.

An diesem Punkt könnte also, wer von mafiösen Irreführungsstrategien zumindest schon mal gehört hat, sich mit einiger Berechtigung weitere Gedanken machen. Und genau dies: Bulgarien „mit Dreck“ zu bewerfen, hat der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow den Medien, der Opposition im eigenen Land und der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der EU vorgeworfen.

Das hätte er mal lieber gelassen. Bulgarien nimmt auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen unter den EU-Staaten den letzten Platz ein. Der Großteil der Medien gehört Oligarchen, die auf eine Unterscheidung von PR und Journalismus keinen Wert legen. Vor einem Jahr, am 16. Oktober 2017, wurde die Journalistin Daphne Caruana Galizia auf Malta durch eine Autobombe getötet. Am 25. Februar 2018 wurden der slowakische Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte erschossen aufgefunden. In beiden Fällen gab es Festnahmen, aufgeklärt sind sie nicht.

Die Peripherie der EU wirkt wie eine Art Freihandelszone für Organisierte Kriminalität. Und die ist „ein Phänomen, das man nicht löst, indem man wehrlosen Bürgern Heldenmut abverlangt, sondern indem die staatlichen Institutionen ihre Pflicht tun“. Diese Forderung des 1992 von der Mafia ermordeten Richters Giovanni Falcone hat nichts von ihrer Aktualität verloren.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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