Wenn das Pech zum
Problem erklärt wird

Die DFB-Elf quält vor dem Nation-League-Spiel gegen Frankreich
die Frage, warum beim Torabschluss fast alles danebengeht

Glücklosigkeit ins Gesicht geschrieben: Leroy Sané setzt den Ball gegen die Niederlande neben das Tor Foto: dpa

Aus Paris Frank Hellmann

Der Ball muss ins Tor! So heißt das 2012 im Finanzbuchverlag erschienene Buch, das den Zusammenhang zwischen Fußball- und Aktiengeschäft vertieft. Die These: Der Ball ist die Strategie, und das Tor ist die Börse. Das Werk dürfte eher nicht im Bücherregel des Fußball-Ästheten Joachim Löw stehen. Wobei sich der Bundestrainer zuletzt ganz ähnlich wie die Autorin Beate Sander anhörte, die eine Reihe von Ratgebern zur Geldanlage herausgegeben hat. „Man muss sagen, dass unsere mangelhafte Chancenverwertung ein Problem ist. Wir erzielen keine Tore. Und dann wird es für die gesamte Mannschaft schwierig.“

Die Diagnose klang in etwa so fürchterlich wie das Statement eines Börsianers, der gerade das meiste seines Kapitals ins falsche Aktiendepot gesteckt hat. Ertrag gleich null. Für den Offensivliebhaber Löw, der schon in seiner aktiven Karriere den Blick lieber nach vorne statt zurück richtete – also aufs gegnerische Tor –, ist das fatal. Seiner Philosophie wird damit die Grundlage entzogen. Löws Klassensprecher Mats Hummels findet die aktuelle Phase fußballerisch nämlich gar nicht schlecht. „Wir haben seit der WM kein schlechtes Spiel gemacht, aber die fehlende Abschlussqualität und das Pech sind das Problem.“

Übergreifend hat die in ihrer Historie eigentlich immer für ihren Torreichtum gerühmte DFB-Auswahl in dem vergangenen Dutzend an Länderspielen karge zehn Treffer erzielt. Weniger als einen pro Spiel. Sechsmal stand die Null aus deutscher Sicht auf der falschen Seite. Hummels findet, die Torarmut habe mit der Verkettung vieler Umstände zu tun. Seine Empfehlung: „Wir müssten auch mal einen Abstauber reinmachen oder das Glück erzwingen.“ Und konkret für den richtungsweisenden Auftritt beim Weltmeister Frankreich (Dienstag 20.45 Uhr/ ARD) erteilte der Abwehrchef den Rat: „Vielleicht müssen wir bei einem Standard einfach mal neun Mann vorne reinwerfen.“

Dummerweise ist diese der Verzweiflung geschuldete Maßnahme schon im letzten WM-Gruppenspiel gegen Südkorea – Endresultat 0:2 – schiefgegangen. Der Notstürmer Hummels bekam den Ball nach einer von Mesut Özil geschlagenen Flanke nämlich nur auf die Schulter statt auf den Kopf. Und wieder war es nichts mit einem Tor. Dass übrigens gegnerische Torhüter immer dann zur absoluten Hochform auflaufen, wenn die Deutschen sie belagern, tut ein Übriges. Es scheint, als habe sich jener Teufelskreis längst in Gang gesetzt, bei dem Ursache und Wirkung nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Torerfolge bleiben meist jenen Teams vorenthalten, die sich auf Abwegen befinden.

„Vielleicht müssen wir bei einem Standard mal neun Mann vorne reinwerfen“

Mats Hummels

Das reine Datenmaterial entlastet die deutsche Nationalelf zunächst vom Vorwurf, zu uninspiriert, zu tempoarm zu spielen. Immerhin gibt es noch genügend Chancen. Aus der Nations League gegen Frankreich (0:0) und die Niederlande (0:3) sind 39 Torschüsse notiert, was ungefähr die Bilanz wiedergibt, mit der Deutschland bei der WM erstaunte: Damals waren aus der Vorrunden rekordreife 67 Versuche gelistet, von denen zwar 20 aufs Tor, aber nur 2 ins Tor gingen. Eine fürchterliche Quote, die folgerichtig im vorzeitigen Turnierausschluss mündete.

Löw hat bislang kein Gegenmittel gefunden, die Abschlussschwäche abzustellen. Im Training würden die Seinen nach Belieben treffen. Im Wettkampf war es auch kein guter Einfall des 58-Jährigen, den Angreifer Mark Uth in Amsterdam von Beginn an einzusetzen. Der Neu-Schalker ist in der Bundesliga nämlich auch noch ein Null-Tore-Stürmer. Wenn Deutschland ein Erfolgserlebnis brauchte, dann waren eigentlich immer seine Torjäger gefragt, die häufig genug aus dem Nichts (oder per Kopf) zuschlugen. Aber da ist derzeit niemand, der mit solchen Instinkten auffällt.

Bei Timo Werner, der aus 21 Länderspielen immerhin auf 8 Treffer verweisen kann, wirkt es im DFB-Dress neuerdings so, als befalle ihn im entscheidenden Moment die Flatter. Ähnlich sieht es bei den Hoffnungsträgern Julian Brandt und Leroy Sané aus, wobei Letzterer gegen die Niederlande die allerbeste Chance vergab. Frei vor Torwart Jasper Cillessen hätte der Profi von Manchester City eigentlich fragen können, in welche Ecke er den Ball haben wolle. Aber der 22-Jährige zielte überhastet vorbei. In seiner Länderspielbilanz stehen weiterhin: null Tore. Löw sah in der Szene übrigens ein Fallbeispiel, was seinen jungen Kräften alles noch fehlt. Vielleicht sollte es der ­Bundestrainer morgen mal mit Serge Gnabry ­versuchen. Der 23-Jährige hat im Nationalteam eine Torquote, die besser ist als die von Gerd Müller oder Miroslav Klose. Zwei Länderspiele, drei Tore.