Völlig bedröhnt und hemmungslos zerfasert

US-Singer-Songwriter Kurt Vile spielt am Donnerstag in Huxleys Neuer Welt teils mit seiner Band The Violators, teils solo

Von Jan Jekal

Kurt Vile wirkt wie sein eigener Roadie. Die Haare, das Band-T-Shirt, und dann macht er so merkwürdige Schnalzgeräusche, schreit wie vom Blitz getroffen „Yip!“, als wollte er die Aussteuerung des Mikrofons testen, weil der eigentliche Sänger erst noch auf die Bühne kommt. Aber Kurt Vile ist der eigentliche Sänger, und er gibt am Donnerstagabend ein Konzert in Huxleys Neuer Welt.

Vile ist ein Typ, bei dem man sich nie so ganz sicher ist, wie viel er mitkriegt. Er beteuert in mehr als einem Lied, gar nicht der Kiffer zu sein, für den er immer gehalten wird, und man möchte ihm glauben. Schwer vorstellbar, dass jemand, der mit müdem Blick konsequent neben dem Beat singt und sich manchmal spektakulär im Ton irrt – ganz abgesehen davon, dass er „time“ oder „man“ zu fünfsilbigen Wörtern dehnt –, nicht unter dem Einfluss von etwas steht. Zumindest das Publikum sieht in ihm einen Gleichgesinnten in Sachen Erholung durch Drogenkonsum. Als Vile seinen Hit „Waking on a Pretty Day“ zu spielen beginnt, ist das für eine Reihe junger Leute im Saal das Si­gnal, gleichzeitig einen Joint anzustecken.

Aber der Reihe nach. Das Konzert beginnt mit „Loading ­Zones“, der neuen Single, die davon erzählt, wie Vile durch die Straßen seiner Heimatstadt Philadelphia fährt und sich, wegen Mangel an Parkplätzen, in die Ladezone vor Geschäften stellt. Vile bekommt Rückendeckung von seiner langjährigen Backing Band, den Violators; die machen geradlinige Rock­begleitung, keine Note zu viel, und geben Vile genug Raum für Gesang und Gitarrenfiguren. Vom ersten Ton an rasten sie in einen Midtempo-Groove ein, den sie dann auch nicht mehr verlassen. Es gibt viele Gelegenheiten zu Solo-Exkur­sionen, und Vile ergreift sie alle.

Die Passagen, in denen er mithilfe vieler Effektgeräte psychedelische Texturen erschafft, sind die interessantesten. Etwas weniger Maßlosigkeit hätte im Hinblick auf die Gitarrenarbeit allerdings nicht geschadet; hin und wieder gibt Vile sich einem Abwandern der Bluestonleiter hin, und das ist, auch durch eine Handvoll Pedale gejagt, nicht wahnsinnig aufregend.

Filigran gezupft

Im weiteren Verlauf des Abends steht Kurt Vile dann solo mit Akustikgitarre auf der Bühne und demonstriert, filigran in offener Stimmung zupfend, seine Qualitäten als Instrumentalist und Singer-Songwriter. Nun gelingt ihm, was er ­zuvor mit der Band vermissen ließ, nämlich dynamische Varianz und ein gerüttelt Maß an Dramaturgie. Die Spannungsarmut im Hauptteil wurde von einigen anstandslosen Zuschauern zum demonstrativen Starren auf ihre Smartphones genutzt. Eine Frau in meiner Nähe versucht in einem ruhigen Moment allen Ernstes, eine Sprachnachricht abzuhören. Der Löwenanteil von Viles Setlist besteht aus Songs vom neuen Album, „Bottle It In“, einem gelungenen Werk, das aber ähnlich hemmungslos zerfasert klingt wie das Konzert selbst. Seine Liveversion des neuen Stücks „Skinny Mini“ ist deutlich besser als die Studiofassung; entscheidender Unterschied ist, dass Vile das Lied im Konzert um mehr als die Hälfte des zehn­minütigen Originals kürzt und um mächtige Trommeltremolos ergänzt. Als erste Zugabe spielt er „Pretty Pimpin’“, einen ganz hervorragenden Rocksong, in dem er davon singt, wie er eines Morgens aufwachte und sein Spiegelbild nicht mehr erkannte, bis er es schließlich doch wiedererkannte. Eine Frau im Publikum wünscht sich das akustische Stück „Peeping Tomboy“, und Vile erfüllt ihr den Wunsch. Er beschließt das Konzert mit ­seinem Klassiker „Baby’s Arms“.