Debatte Konzepte Rentenpolitik: Rettet die Rente vor der AfD

Die Rentenvorstöße der AfD sind widersprüchlich und wenig überzeugend. Umso mehr braucht die GroKo endlich ein Grundrentenkonzept.

Senioren sitzen auf einer Parkbank und halten ihre Gehstöcke

Die Frage nach einer solidarischen Alterssicherung für alle sollte man nicht der AfD überlassen Foto: dpa

Jetzt hat die AfD die Rentenpolitik für sich entdeckt. Die Sorge um sichere Renten und die Furcht vor Altersarmut schlachtet die AfD ähnlich populistisch aus wie das Thema Migration. Die AfD-Propaganda schreckt auch nicht davor zurück, beides miteinander zu verbinden: Ursache für die niedrigen Renten vieler Versicherter soll die „Masseneinwanderung“ in die Sozialsysteme sein. Dem völkisch-nationalen Flügel der Partei schwebt deshalb eine Staatsbürgerrente vor, die nur Deutschen einen Zuschlag gewährt. Die FAZ berichtete jüngst von einem neuen Konzept des AfD-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen.

Mischt die AfD damit nun die Rentendebatte auf, wie die FAZ behauptet? Keinesfalls. Höchstens legt sie damit die tiefen Gräben innerhalb der Partei offen. Während das online veröffentlichte Konzept der thüringischen Landtagsfraktion unter der Führung von Björn Höcke sozial-völkisch ausgerichtet ist, gibt der Entwurf von Meuthen einen radikal völkisch-neoliberalen Kurs vor. Dazwischen liegen Welten.

Höcke will die bestehende, über Beiträge und Steuerzuschüsse finanzierte und im Umlageverfahren organisierte Rentenversicherung ausbauen, Selbstständige und Beamte einbeziehen und das Rentenniveau auf 50 Prozent anheben. Auch der Steuerzuschuss soll erhöht werden.

Meuthen dagegen hat nur eines im Sinn: die Rentenversicherung komplett abzuschaffen. Jeder soll sich eine private Altersversorgung aufbauen, über Immobilien- oder Aktienbesitz, zur Not zahlen die Kinder den Eltern im Alter eben Unterhalt. Das nennt er „bürgerliche Freiheit“. Alle, die kein Vermögen aufbauen können, sind selbst schuld. Ihnen bleibt eine steuerfinanzierte Grundrente in Höhe des Existenzminimums. Vorausgesetzt, sie besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit oder haben mindestens 20 Jahre lang Steuern bezahlt oder Kinder großgezogen. Ein Weg, der in die Altersarmut führt.

Kein Konzept für weniger Altersarmut

Höcke schlägt ebenfalls eine Basisrente auf Grundsicherungsniveau vor, die je nach Höhe der entrichteten Rentenbeiträge bis zur Standardrente von rund 1.350 Euro aufgestockt wird – ein Bonus nur für deutsche Staatsbürger. Es gibt einen einzigen Punkt, in dem sie sich treffen: ihre nationale Ideologie. In beiden Konzepten werden diejenigen prämiert, die die deutsche Staatsangehörigkeit haben und möglichst viele Kinder bekommen. Ansonsten könnte die Distanz größer nicht sein.

Die AfD versucht aus dem Los derjenigen politisches Kapital zu schlagen, die als Rentenversicherte trotz jahrzehntelanger Arbeit wegen geringer Löhne, Teilzeitarbeit und löchriger Arbeitsbiografien, wegen Jahren der Arbeitslosigkeit, Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen nur kleine Renten bekommen oder in Zukunft erwarten. Ein konsensfähiges Konzept für eine Basissicherung für alle, die das Risiko von Altersarmut minimiert, liefert die AfD nicht.

Höcke vertritt ein sozial-völkisches Rentenkonzept, Meuthen einen radikal völkisch-neoliberalen Kurs

Dass die AfD sich das Rententhema greift, ist angesichts der Ungerechtigkeiten im Rentensystem nur logisch. Deshalb müssen die Regierungsparteien endlich eine umfassende Reform angehen, die über die Bedienung einzelner Klientelen hinausgeht. Zu einer solchen Rentenreform gehört eine Grundrente.

Konzepte dafür geistern schon seit zehn Jahren durch Parteiprogramme und Koalitionsverträge: Mindestrente, Garantierente, Lebensleistungsrente, Solidarrente, Grundrente – das Kind hatte schon viele Namen. Breit debattiert, geschweige denn durchgesetzt wurden diese Ideen nie. Sie waren ungeliebte Kinder.

Ursula von der Leyens (CDU) Idee von 2012, kleine Renten mit einer „Lebensleistungsrente“ auf 850 Euro monatlich aufzustocken, wurde von ihren Parteikollegen und dem Koalitionspartner FDP mit dem Argument abgewürgt, sie verletzte das Äquivalenzprinzip. Danach sind Rentenzahlungen nur gegen einbezahlte Rentenbeiträge zu haben.

Neu aufgelegt wurde sie 2013 als Koalitionsprojekt von CDU und SPD, diesmal unter dem rot-schwarzen Namen „solidarische Lebensleistungsrente“. Die damalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, hatte angekündigt, den Plan 2017 zum Ende der Legislaturperiode umsetzen zu wollen. Nichts geschah. Im aktuellen Koalitionsvertrag taucht die Idee wieder auf. Diesmal als Grundrente für „Geringverdiener und Menschen, die Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben“.

Rentnerinnen kommen nur auf 27 Beitragsjahre

Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil will sie noch im kommenden Jahr einführen. Mit 880 bis 900 Euro ist sie karg bemessen und die Bedingungen sind knallhart: Versicherte müssen, so wie zuvor schon bei von der Leyens „Lebensleistungsrente“, 35 Jahre lang Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben und es soll eine Bedürftigkeitsprüfung wie beim Sozialamt geben. Privat- oder Betriebsrenten, Vermögen oder das Einkommen eines Lebenspartners sind offenzulegen und werden ganz oder teilweise angerechnet.

Die Einführung einer Grundrente für alle ist überfällig

Den Namen Grundrente, der eine universale Leistung für alle suggeriert, verdient das Konzept schon deshalb nicht. Zudem ist davon auszugehen, dass der Kreis der Berechtigten überschaubar wäre. Heutige Rentnerinnen kommen im Durchschnitt gerade mal auf 27 Beitragsjahre. Eine geringe Reichweite ist vorprogrammiert. Die Einführung einer Grundrente für alle ist überfällig. Kein europäisches Land verzichtet auf eine Mindestsicherung und selbst unter den 34 OECD-Ländern sind es nur eine Handvoll.

Wenn man den AfD-Konzepten etwas abgewinnen will, dann ist es der Gedanke einer Grundrente, die eine Bedürftigkeitsprüfung obsolet macht. Es wäre nicht verkehrt, wenn der AfD-Vorstoß der Regierungskoalition auf die Sprünge helfen würde, endlich ein mutiges Rentenkonzept vorzulegen und denen laut zu widersprechen, die behaupten, eine Grundrente sei „systemfremd“ und daher nicht diskussionswürdig.

Es wäre brandgefährlich, die Frage einer solidarischen Alterssicherung für alle, ein Kernversprechen des Sozialstaats, den Rechtspopulisten zu überlassen.

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Jahrgang 1964. Journalistin und Autorin in der Bürogemeinschaft textetage in Berlin. Schreibt, neben der taz, auch für den Freitag, Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, Berliner Zeitung und für populärwissenschaftliche Zeitschriften. Inhaltliche Schwerpunkte: Forschung, Wissenschaft und Gesellschaft sowie Rente und Sozialpolitik.

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