Struktur Raum Identität

„Wir traten mit dem Anspruch an die Planung heran, ein reduziertes Tragwerk zu entwickeln, in dem jedes Bauteil in einem System ohne Hierarchie seinen Platz finden sollte, um den Verbund als ein nicht differenzierbares Ganzes zu stärken. Das als Netz ausgebildete Tragwerk wird so Struktur und Sinnbild der taz Genossenschaft zugleich.“

Foto: 1 – Montage zweier vorfabrizierter Stützen. Bild: E2APlanmaterial: Schnetzer Puskas International

aus Basel Tivadar Puskas
und Kevin M. Rahner (Schnetzer Puskas International)

Die architektonische Gestalt des neuen Hauses für die taz erinnert an den Moskauer „Schabolowka“-Radioturm von Wladimir G. Schuchow aus den frühen 1920er Jahren, dessen Struktur, als Netz ausgebildet, mit möglichst wenig Material maximale Tragfähigkeit erreichte. Der Moskauer Radioturm steht auch als Sinnbild eines Tragsystems, in dem jedes Element die gleiche Wichtigkeit hat. Das Netz ist eine Struktur, in der alle Teile gleichviel zu leisten haben und nur zusammen Stabilität erreichen. Es ist ein System ohne Hierarchie. Die architektonische Anmutung des neuen Hauses für die taz wird so Struktur und Sinnbild der Organisation zugleich.

Der Neubau setzt sich im Wesentlichen zusammen aus zwei Untergeschossen, einem Erdgeschoss sowie aus sechs in der Regel geometrisch gleichen Obergeschossen. Das sechste Obergeschoss wird durch einen überhohen Gebäudeabschnitt (taz.panorama) charakterisiert, der den prinzipiellen Lastfluss aber nicht beeinträchtigt. Gleiches gilt auch für die übrigen geometrischen Ausnahmen, nämlich die doppelstöckigen Raumvolumen im Erd- und im ersten Obergeschoss (taz.veranstaltung und großer Redaktionsraum).

Im Grundriss ist das Gebäude in drei Teile unterteilbar: Einen südlichen Teil, welcher über eine durchgängige Brandwand von der zukünftigen Nachbarbebauung getrennt sein wird, einen nördlichen Teil, und einen dazwischenliegenden Mittelteil, in welchem sich die Haupterschließungstreppe befindet.

Die Stockwerksdecken wurden aus Stahlbeton hergestellt, wesentliche Tragelemente dabei im Verbund vorgespannt. Die umlaufend angeordneten Stützen wurden als vorgefertigte Stahlbetonstützen auf die Baustelle geliefert (Abb.1), wohingegen die innen liegenden, vertikalen Tragelemente schlaff bewehrt, in Ortbetonbauweise erstellt wurden.

Foto: 2 – Querschnitt durch ein vorfabriziertes Decken-Rippenelement

Die Untergeschosse binden in den Grundwasserträger ein und wurden daher als wasserdichte, sogenannte weiße Wanne, ausgeführt. Da sämtliche Stockwerkslasten konzentriert entlang der Fassadenebenen sowie an den zwei Erschließungsschächten der Haustechnik gesammelt werden, erfolgt die Gründung des Gebäudes über eine Tiefenfundation mit Bohrpfähle.

Der Abtrag der vertikalen Stockwerkslasten in die Fundation folgt in den repetitiven Regelgeschossen nach demselben Grundprinzip. Das Deckensystem der drei Gebäudeteile kann am ehesten als drei stabile Tischplatten gelesen werden. Auf die umfassenden Randträger aus vorgespanntem Stahlbeton wurden vorfabrizierte Träger aufgelegt und mit Hilfe einer Ortbetonschicht zu einem Monolith vergossen (Abb.4). Die Träger sind 50 cm hoch und 2.10 Meter breit und überbrücken 12.50 Meter stützenfrei. Um den Verformungen entgegenzuwirken wurden sie bereits im Vorfabrikationswerk mit einer Vorspannung in den Rippen versehen (Abb.2). Die Randträger wurden mit Betonnocken ergänzt, welche als Auflager für die ausgeklinkten Fertigteile dienen (Abb.3). Sie wurden in Ortbetonbauweise erstellt und mit zwei flachen Vorspannkabeln im Verbund versehen. Diese wurden entlang der Fassade parabelförmig eingelegt, wobei die Hochpunkte durch die Knotenpunkte mit den Stützen definiert sind. Zusätzlich wird über den Kabelverlauf die vertikale Lastverteilung gesteuert und die Verformungen der Eckbereiche begrenzt. Die Ankerköpfe befinden sich stets in den Eckbereichen und wurden nachträglich ausgegossen. Die Randträger bilden mit den diagonalen Fassadenstützen die vertikal lastabtragenden Elemente. Die von der Geometrie des Gebäudes ausgeübte Zugkraft wird durch die Vorspannung ausgeglichen. Im Gebäudeinneren ruhen die ringartigen Träger der drei Gebäudeteile außerdem auf den beiden zwischen den drei Gebäudeteilen liegenden Erschließungsschächten. Diese bestehen einseitig aus einer geschlossenen, 5.1 Meter langen Wand, welche durch schmale Seitenwände ausgesteift wird. Auf der gegenüberliegenden Längsseite befindet sich in jedem Stockwerk ein Unterzug, auf welchem die Deckenelemente des mittleren Stockwerkteils ruhen.Die Erschließungsschächte wurden in Ortbetonbauweise erstellt und besitzen eine Stärke von 25 cm bzw. 30 cm. Im südlichen Teil bilden Brandwand und Erschließungskern den Gebäudeabschluss. Lediglich die umfassenden Kernwände werden im Sinne des vertikalen Lastabtrags wirksam.

Foto: 3 – Querschnitt durch den Decken-Randbereich

Der vertikale Lastfluss erfolgt entgegen üblicher Skelettbauten nicht über Stützen im Gebäudeinneren sondern als dünnes Netz nahezu komplett über die Peripherie. Dabei weist das Tragwerk eine große Redundanz auf – Alle Stützenelemente beteiligen sich solidarisch am Lastabtrag (Abb.5 und 6). Kommt es beispielsweise zu einer Setzung im unsicheren Berliner Baugrund, so kann die Last über die steifen Dreieckselemente umgelagert werden. Die innen liegenden Wände wurden entweder als Mauerwerk oder dünnere Stahlbetonwände ausgeführt, um die dazwischenliegenden Flachdeckenelemente tragen zu können. Die Decke über dem Untergeschosskasten wurde als schlaff bewehrte Stahlbetondecke ausgeführt.

Das Gebäude beruht auf einem Tiefengründungskonzept. Es wurden hierfür Verdrängungspfähle, sogenannte Atlas-Pfähle, mit einem Durchmesser von 56 cm und einer Länge von 7.65 Metern tief in das Erdreich eingebracht. Die Tiefengründung besteht aus 97 Pfählen, welche im mittleren Abstand von circa drei Metern in der Grundrissebene angeordnet sind.

Foto: 4 – Decken-/Bodenanschluss zweier Stützen

Das Raffinierte am Tragsystem des Projekts besteht vor allem darin, dass die vertikal lastabtragenden Elemente auch die horizontale Aussteifung des Gebäudes gewährleisten. In der Regel sind vertikale und horizontale Aussteifung eines

Gebäudes zwei separate Systeme, die sich, mehr oder weniger kohärent, ergänzen. Oftmals entstehen bei der Kopplung dieser beiden Systeme Einschränkungen für die Bewohner des Raumes. Dies ist beim taz Neubau aus programmatischen und konzeptuellen Gründen nicht der Fall – Zwei sonst separate Systeme werden auf elegante Weise in ein einziges kombiniert, das dem Nutzer, über seine statische Funktion hinaus, Freiraum und Identität bietet. Die horizontale Aussteifung kann durch die triangel-förmigen Elemente des sogenannten Diagrids in den Fassadenebenen übernommen werden. Diese werden jeweils durch zwei vorgefertigte, diagonale Betonstützen und den ringförmigen Randträgern in jedem Stockwerk vielfach gebildet. Über die Vorspannung in den Randträgern können gezielt einzelne Elemente oder ganze Teilbereiche be- und entlastet werden.

Die dazwischen liegenden Stockwerksdecken wirken aufgrund der Ortbetonschicht und der damit auch scheibenartig wirkenden Decken als starre Kopplungen der Fassadenscheiben. Den südlichen Abschluss bildet die Brandwand mit davor befindlichem Betonkern.

Foto: 6 – Qualitativer, vertikaler Lastabtrag

Die Vorfertigung der Stützen und der Deckenträger führen zu komplexen Verbindungsknotenpunkten – Auf geringstem Raum mussten erhebliche Kräfte miteinander ins Gleichgewicht gebracht werden. Für die einwandfreie Umsetzung des Tragsystems war somit eine minutiöse Vorplanung auf der Baustelle erforderlich.

Blick durch das taz.panorama, Richtung Besselpark. Bild Foto: Yasu Kojima

Tivadar Puskas, sieht den Dialog zur Befeuerung architektonischer Intention mit Ingenieurskunst als wichtigen Beitrag zur Baukultur.

Dr. Kevin M. Rahner mag es Konventionen von Baukonstruktionen in Frage stellen und technische Grenzen verschieben.