Kreuzberg hat gezeigt, dass es sich weiterhin zu wehren weiß

Erik Peterüber die Mitteilung von Google, nun doch nicht selbst in das Umspannwerk einzuziehen

Immer wieder reduziert

Diskussion um Sawsan Chebli und eine Uhr

Auf Facebook ist diese Woche ein Foto der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli aufgetaucht. Die Aufnahme datiert aus dem Jahr 2014, sie zeigt die SPD-Politikerin mit einer etwa 7.500 Euro teuren Rolex-Uhr am Handgelenk. Zunächst diskutierte die geneigte Öffentlichkeit nun die Frage: Ist frau noch glaubwürdig als Sozialdemokratin, wenn sie die Insignien der oberen Zehntausend spazieren trägt (wobei die Rolex dafür nicht mal taugt)?

Gegenfrage: Darf man Austern schlürfen und trotzdem für den Mindestlohn sein? Und kann man nur im Kapuzenpulli gegen Nazis demonstrieren gehen oder ginge das zur Not auch im Maßanzug?

Eben. Natürlich ist es arg kurz gesprungen, die innere Einstellung an Äußerlichkeiten festzumachen. Mal davon abgesehen, dass Luxus immer relativ ist. Wäre eine Aufnahme, auf der Chebli teure Muscheln isst, meinetwegen mit einer Uhr von Casio am Handgelenk, noch okay gegangen? Und wenn Sozialdemokratinnen Austern essen dürfen, gilt das dann auch für Linke oder liegt die „Luxus-Schwelle“ da tiefer, vielleicht bei Miesmuscheln?

Nachdem Cheblis Facebook-Seite in Folge des Rolex-„Skandals“ mit rechten Hassbotschaften gegen sie geflutet wurde, deaktivierte die 40-Jährige am Dienstag kurzerhand ihren Account. Es sei inzwischen völlig egal, was sie dort poste, erklärte Chebli, sie werde so oder so niedergemacht. Schon vor einem Jahr wurde sie ähnlich angefeindet, als sie einem Ex-Botschafter auf Twitter Sexismus vorgeworfen hatte, weil er sie am Rande einer Diskussion als jung und schön bezeichnet hatte. Chebli wurde daraufhin unisono von Anti-FeministInnen wie Nazis angegangen.

Chebli ist eine Frau, sie sieht gut aus, sie hat offensichtlich einen Migrationshintergrund. Ihre Eltern waren staatenlose Flüchtlinge aus Palästina. Sie hat es auf einen Posten in die Senatskanzlei geschafft – trotz, ja: trotz alledem. Denn, das ist die bittere Erkenntnis aus den wiederkehrenden Debatten um ihre Person – Geschlecht, Aussehen und Herkunft, das ist es, worauf eine wie Chebli immer wieder reduziert wird. Selbst die für ihre stocksteife Seriosität bekannte Nachrichtenagentur dpa schrieb süffisant: „Zuletzt war Chebli statt mit Rolex mit einer Cartier-Uhr zu sehen.“

Eine Frau mit Migrationshintergrund kann 2018 zwar Staatssekretärin in der Senatskanzlei werden und genug Geld für eine Rolex-Uhr verdienen. Ob das auch gesellschaftlich akzeptiert ist, ist eine andere Frage. Aber es ist die entscheidende.

Anna Klöpper

die woche in berlin
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Eine teure Uhr am Arm der Staatssekretärin Sawsan Chebli sorgt für unverhohlenen Hass in den sozialen Medien. Google Campus ist auf einmal Geschichte. Eine Sammelabschiebung von Asylsuchenden – unter Federführung der Berliner Ausländerbehörde – wird vom Flüchtlingsrat scharf kritisiert. Und weil ein neues Ankunftszentrum auf sich warten lässt, müssen immer noch Geflüchtete im Hangar des Flughafens Tempelhof leben

Tschüss undbye-bye,Google!

Google Campus gibt in Kreuzberg auf

Na klar wollte Google seine Niederlage nicht eingestehen. Die Mitteilung vom Mittwoch, dass in das Kreuzberger Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer nicht der geplante Start-up-Campus einzieht, sondern dieses für Sozialunternehmen zur Verfügung gestellt wird, verband der Internetriese mit allerlei Pathos. Das hörte sich dann so an: „Wir freuen uns, mit dem Haus für soziales Engagement einen substanziellen Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft in und um Kreuzberg zu leisten.“

Glaube es, wer wolle. Klar ist: Google hatte beim Abschluss des Mietvertrags nicht geplant, die Räumlichkeiten schlussendlich zu verschenken. Dass nun genau das passiert, ist für den Konzern eine Niederlage. Laut Selbstauskunft kosten Umbau und Mietkosten bis 2023 den Konzern 14 Millionen Euro. Peanuts für eine der reichsten Firmen der Welt, logo. Würden aber alle Geschäfte so laufen, wäre Google pleite.

Am Ende schien dem Tech-Giganten einfach nichts anderes mehr übrig geblieben zu sein, als sich selbst zu löschen und das Gebäude an die Sozialunternehmen Betterplace und Karuna zu übertragen. Wenigstens noch etwas für die Imageaufbesserung tun, statt nur mit fliegenden Fahnen von dannen zu ziehen. Das ist dann in der Tat die vielen Millionen wert.

Gescheitert ist der Konzern an seiner Hybris, einen Bezirk wie Kreuzberg mit seiner Start-up-Offensive beglücken zu können. Hart ist er dann auf die Realität geprallt: auf eine Nachbarschaft, in der niemand das nächste Silicon Valley wollte und niemand den Wachstums- und Heilsversprechen durch die Unternehmensansiedlungen glaubte. Stattdessen wurde der Google Campus zu Recht als Bedrohung für einen schon jetzt kaum noch bezahlbaren Kiez wahrgenommen.

Kreuzberg hat gezeigt, dass es sich weiterhin zu wehren weiß. Mindestens vier Anti-Google-Ini­tiativen haben fast zwei Jahre kontinuierlich gegen den Campus gearbeitet. Durchgestrichene Google-Transparente hingen überall im Kiez aus den Fenstern, demonstriert wurde monatlich, vorläufiger Höhepunkt war die Besetzung der Campus-Baustelle im September. Der Rückzug von Google ist ihr Erfolg. Erik Peter

Die Liste der Vorwürfe ist lang

Flüchtlingsrat kritisiert Sammelabschiebung

Die Vorwürfe, die der Flüchtlingsrat gegen das Land Berlin und die Bundespolizei in dieser Woche erhoben hat, sind schockierend. Bei einer Sammelabschiebung von 90 abgelehnten Asylsuchenden von Schönefeld nach Madrid soll es im Juni zu schwerem Fehlverhalten der Polizei gekommen sein.

Die Liste der Vorwürfe ist lang: Einem geistig behinderten Mann soll gegen seinen Willen und in Abwesenheit des gesetzlichen Betreuers ein sedierendes Medikament verabreicht worden sein, drei Familien sollen teilweise gewaltsam getrennt worden sein und eine schwangere Frau sowie andere Menschen sollen von Polizisten geschlagen worden seien. Außerdem berichten mehrere Betroffene, dass ihnen das Notieren von Telefonnummern von Angehörigen und Anwälten verwehrt worden sei und sie von Polizisten ausgelacht worden seien, als sie sich weinend auf dem Weg ins Flugzeug befanden.

Sollten diese Schilderungen zutreffen, hat dies nichts mehr mit einem im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbarten „Paradigmenwechsel in der Abschiebepolitik“ zu tun. Im Gegenteil: Es ist auf menschenrechtlicher Ebene skandalös, wenn ein Mann zwangsweise mit Medikamenten ruhiggestellt wird, damit man ihn entspannter abschieben kann. Ein solcher Eingriff in den eigenen Körper ist für den Betroffenen entwürdigend und beängstigend und kann nachhaltig zu seelischem Leiden führen. Und wenn die Innenverwaltung darauf verweist, dass die getrennten Familien nicht aus Berlin kamen, ist das eine schlechte Ausrede: Die Organisation der Abschiebung wurde schließlich federführend von der Berliner Ausländerbehörde übernommen.

Wenn es dieser Behörde offenbar egal ist, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, dann betrifft das auch die regierenden Parteien SPD, Linke und Grüne. Es reicht nicht, wenn die Grünen fordern, dass die unabhängige Abschiebungsbeobachterin in den Innenausschuss eingeladen wird. Bei der Caritas ist dafür eine Halbtagsstelle vorgesehen, die Beobachterin darf weder vor dem Flug noch währenddessen in das Flugzeug. Berichten darf sie nur dem aus Polizei, Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen bestehenden „Forum Abschiebebeobachtung“, das vierteljährlich tagt.

Die Stelle und ihre rechtlichen Befugnisse müssten ausgeweitet werden, um tatsächlich eine realitätsgetreue Beobachtung gewährleisten zu können. Frederik Schindler

Drei Jahre Notlösung

Noch immer wohnen Geflüchtete im Hangar

Es war eine Notlösung, ein Provisorium: Am 24. Oktober 2015 wurden die ehemaligen Hangars im Flughafen Tempelhof zu einer Notunterkunft für Geflüchtete umfunktioniert. Damals kamen Tausende Flüchtlinge pro Tag in Berlin an, der Senat wusste nicht, wohin mit ihnen – auch dank jahrelanger Fehlplanung und falscher Prognosen. Zeltstädte, so hatte der damalige CDU-Sozialsenator Mario Czaja versprochen, werde es in Berlin nicht geben. Also wurden die riesigen Hallen umfunktioniert, die genau zwei Vorteile hatten: ein Dach und eine Heizung. Leichtmetallkabinen wurden aufgestellt, nach oben offen, ohne Türen, zwei Quadratmeter pro Person.

Mario Czaja ist schon lange nicht mehr Sozialsenator. Und man kann kaum zählen, wie oft verkündet wurde, die Notlösung im Flughafen habe bald ein Ende. Aber in Hangar 2 stehen heute immer noch Kabinen, und immer noch sind hier Menschen untergebracht.

Wer in Berlin ankommt, muss sich zuerst in diesem sogenannten Ankunftszentrum registrieren lassen. Eigentlich sollen die Flüchtlinge von dort zügig an andere Orte verteilt werden. Zwischenzeitlich war die Zahl der dort untergebrachten Menschen auf rund 100 gesunken. Aufgrund von Problemen bei den Registrierungsabläufen – Genaueres dazu will die zuständige Senatsverwaltung nicht sagen – wohnen momentan wieder mehr als 500 Menschen im Hangar, die Verweildauer beträgt mehrere Wochen.

Czajas Nachfolgerin Elke Breitenbach (Linke) hat seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2016 schon oft verkündet, wie unglücklich sie mit der Hangar-Unterbringung sei. In dieser Woche erfuhr die taz, der Senat plane mittlerweile, ein neues Ankunftszentrum bauen zu lassen – die Suche nach einer bereits existierenden Immobilie für diesen Zweck war offenbar erfolglos.

Ein Jahr solle der Bau dauern. Ein straffer Zeitplan, einerseits. Und andererseits eine nicht hinnehmbare Zumutung: ein ganzes weiteres Jahr Hangar?

Es gibt in Berlin eine ganze Reihe seit 2015 eröffneter Unterkünfte, die mittlerweile wieder geschlossen wurden, weil die Zahl der ankommenden Geflüchteten so drastisch abgenommen hat. Solange auch nur ein einziger Geflüchteter in Tempelhof untergebracht ist, ist das eine unverständliche Entscheidung. Wenn Berlin dem Betrieb eines zentralen Ankunftszentrums nicht gewachsen ist, muss es eben wieder auf dezentrale Erstaufnahme umstellen. Und wenn Elke Breitenbach sich in dieser Frage wirklich von ihrem Vorgänger unterscheiden will, muss sie aus ihren Worten Taten werden lassen, und das nicht erst in einem Jahr. Malene Gürgen

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