„Die Verbrechen dort waren von extremer Grausamkeit “

Die Performance „Kosa la Vita“ untersucht den Stuttgarter Kriegsverbrecherprozess, bei dem der Führer der Hutu-Milizen verurteilt wurde, der per SMS und E-Mail von Mannheim aus einen Völkermord im Osten des Kongo gesteuert hat

Klänge, Gesten, Bilder: der Kongo-Prozess als Performance Foto: Alexander Barta

InterviewBenno Schirrmeister

taz: Herr Zigah, wie lange dauert die Arbeit an „Kosa la vita – Kriegsverbrechen“ jetzt schon?

Simon Zigah: Lange! Das war ... Also begonnen darüber nachzudenken haben wir hier in Bremen am Rande von Proben, in einem Gespräch mit Konradin Kunze …

.... der mit zur Flinnworks-Performance-Gruppe gehört.

Konradin hat mir da einen Artikel gezeigt hat über den Kriegsverbrecherprozess von Stuttgart. Das ist jetzt über fünf Jahre her: Der war sogar auch in der taz, die als eine der wenigen Zeitungen kontinuierlich aus diesem Prozess berichtet hatte.

Geht es in der Produktion um die Kriegsverbrechen oder den Prozess …?

Unser Thema ist der Prozess. Natürlich kommen die Massaker der Hutu-Milizen auch vor, aber in dem Maße, in dem sie im Gericht verhandelt worden sind: Wir waren auch da, in Stuttgart, so oft wie möglich, abwechselnd, um uns ein Bild vom Prozess zu machen, fast alle, außer mir.

Außer Ihnen?

Ja, als ich in Stuttgart war, ist der Prozesstermin ausgefallen, wegen Krankheit, glaube ich. Es war uns wichtig, die Besonderheiten dieses ersten Prozesses nach Völkerstrafrecht in Deutschland mitzubekommen, die Angeklagten zu erleben.

Ignace Murwanashyaka, der Präsident der Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR), und Straton Musoni, sein Stellvertreter, haben 2008/09 im Osten der Demokratischen Republik Kongo schwere Völkerrechtsverbrechen angeleitet.

Der in Mannheim lebende Murwanashyaka war deshalb 2009 in Karlsruhe festgenommen worden, im Mai 2011 eröffnete das Stuttgarter Oberlandesgericht die Hauptverhandlung, am 28. September 2015 verhängte es Haftstrafen von 13 und 8 Jahren.

Seit 2013 haben Quartett Plus 1 und die Performance-Gruppe Flinnworks unter dem Titel „Kosa la vita“ – das bedeutet auf Kisuaheli Kriegsverbrechen – für das Thema eine musikthea­trale Form entwickelt. Die Produktion wird Samstag und Sonntag, jeweils 20 Uhr, am Theater Bremen gezeigt.

Das waren?

Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, der Präsident der Hutu-Miliz (FDLR) und sein Stellvertreter, denen vorgeworfen wird, im Grenzgebiet zwischen Kongo und Ruanda Massaker an der Zivilbevölkerung organisiert und durchgeführt zu haben.

Von Deutschland aus?

Murwanashyaka lebte damals in Mannheim, ja, und ist auch nicht ins Kriegsgebiet gereist. Aber er hat das Geschehen von dort aus gesteuert. Murwanashyaka hat von Mannheim aus einfach eine SMS getextet: Greift Busurungi an, oder brennt Busurungi nieder. Und dann ist das 9.500 Kilometer weiter südlich geschehen. Parallel hat er in Deutschland, glaube ich, Hartz IV bezogen.

Das ist zynisch.

Ja das ist zynisch. Die Verbrechen dort waren von extremer Grausamkeit.

Wie lässt sich damit theatral umgehen?

„In Wirklichkeit aber haben wir, die Kolonialmächte, diese Konflikte und die Art der Kriegsführung dorthin getragen, jeden einzelnen Aspekt“

Ein großer Schwerpunkt unserer Arbeit war die Übersetzung in Musik, neue Musik, die für mein ungeschultes Ohr mitunter ziemlich gewöhnungsbedürftig ist. Es war klar, dass es Musiktheater werden würde, das Quartett Plus Eins, mit dem wir das zusammen entwickelt haben, ist ein Streichquartett, und wir hatten sehr früh schon einen Komponisten dabei. Konkret heißt das zum Beispiel, dass die Anklageschrift gesungen wird, und für sehr vieles direkt Entsprechungen in Klängen oder Geräuschen gesucht wurde. Da haben wir oft sehr lange und intensiv gesucht, wir haben zum Beispiel ausprobiert: Was macht das mit uns, Instrumente auf der Bühne zu zerstören. Wir haben unendlich viele Musikinstrumente zertrümmert, und das gefilmt: Das ist ja eine Zerstörung der Kultur, unserer Kultur, oder der Kultur der gesellschaftlichen Eliten, und es fühlt sich merkwürdig an – ist aber keine in irgendeiner Weise legitime Darstellung der Kriegsverbrechen. Also haben wir es verworfen.

Frustrierend!

Nein, gar nicht. Diese Suche, das Ausprobieren, Reflektieren, um dann festzustellen, es funktioniert nicht, das ist sehr wichtig für unsere Produktion. Das sieht man, obwohl man es nicht sieht. Ein anderes Beispiel: Wir haben lange über die Opferbefragungen nachgedacht. In den Prozess wurden ja Zeug*innen per Videoschalte gehört, die sich irgendwo im Grenzgebiet zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo aufhielten, wo genau war auch dem Gericht wahrscheinlich nicht bekannt. Und die wurden befragt nach dem, was sie erlebt hatten – auch keineswegs zimperlich, die Verteidigung wollte ja etwas für ihre Mandanten erreichen. Die hatten schrecklichste Sachen erlebt, und mussten da nun also erzählen, wie sie mitangesehen hatten, dass Schwangeren die Kinder aus dem Leib geschnitten wurden, ganze Dörfer ermordet, ein ganzes Land zerstört wurde.

Fragen lässt sich, warum über diese Verbrechen nicht dort, sondern ausgerechnet von einem deutsches Gericht geurteilt wird?

Ja, die Frage ist gerechtfertigt. Wir haben die uns auch gestellt, beantworten sie aber nicht: Ich denke, es ist wichtig, dass die beiden vor Gericht gestellt wurden. Und es erleichtert vielleicht, eine Form zu finden, für den kolonialen Aspekt der Verbrechen.

Foto: Fritz Haase/Theater Bremen

Simon Zigah, Jahrgang 1983, Schauspieler, seit 2010 am Theater Bremen, erst im Moks-, seit 2013 im Schauspiel-Ensemble.

Worin besteht der?

Der war mir persönlich sehr wichtig: Oft heißt es ja, und das ist eine Perspektive, die in der Berichterstattung vorherrscht: Das ist ja schrecklich, wie die sich da gegenseitig so barbarisch umbringen. In Wirklichkeit aber haben wir, die Kolonialmächte, diese Konflikte und die Art der Kriegsführung dorthin getragen, jeden einzelnen Aspekt: Das Rassismus-Konzept haben wir dort eingeführt, die Vorstellung dass je nach Hautfarben-Abstufung manche Menschen minderwertig wären und als Feinde zu behandeln, aber auch das Abbrennen von ganzen Dörfern als Strafmaßnahme, das Häuten und Aufhängen von Menschen zur Abschreckung, das entspricht dem, was der deutsche Gouverneur Hermann von Wissmann als Taktik seiner Herrschaft in Ostafrika beschreibt.

Wissmann kommt in der Performance auch vor?

Das ist meine Rolle, ja. Und die hat mich nachdenken lassen: Wenn wir den Warlords von heute den Prozess machen, das ist gut und richtig. Aber was ist mit den Warlords von damals, den Wissmanns und Petersens? Was ist mit den Denkmalen, die ihnen gesetzt wurden und den Straßen, die nach ihnen benannt bleiben, in Berlin, in Bremen, überall?