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„Eine Stadtstaat-Universität steht immer unter Beobachtung“

Die Universität Hamburg feiert im kommenden Jahr ihren 100. Geburtstag. Der frühere Hochschul-Präsident Jürgen Lüthje blickt in seinem Buch „Die Universität als Republik“ auf seine Amtszeit zurück – auch auf die 75-Jahr-Feier, die 1995 ins Wasser fiel

War 15 Jahre lang Präsident der Uni Hamburg: Jürgen Lüthje Foto: Miguel Ferraz

Interview Kaija Kutter

taz: Herr Lüthje, die Universität Hamburg wird 100. Was hat Sie verleitet, ein Buch zu ­schreiben?

Jürgen Lüthje: Ich wollte die Aspekte, die meine 15-jährige Amtszeit und die Universität Hamburg geprägt haben, dokumentieren und in die generelle Entwicklung der Universitäten einordnen.

Ihr Vorgänger Peter Fischer-Appelt schrieb ein Buch über „Die Universität als Kunstwerk“. Sie nennen ihr Buch „Die Universität als Republik“. Was ist der Unterschied?

Kunstwerke werden durch einen Künstler gestaltet, eine Republik durch das Zusammenwirken der in ihr Tätigen.

Sie waren Präsident der Universität Hamburg von 1991 bis 2006 und haben stets deren Ruf mit Herzblut verteidigt. Warum stand die so oft in der Kritik?

Die Universität Hamburg ist die Universität eines Stadtstaates und steht deshalb unter direkter Beobachtung. Negative Erfahrungen werden unmittelbar wahrgenommen und werden oft Gegenstand der Landespolitik. In Stadtstaaten wie Berlin, Hamburg oder Bremen ist die Einstellung gegenüber ihren Universitäten kritischer als in Flächenländern.

In welche Richtung ging das?

Alle großen Universitäten in Deutschland leiden unter schwierigen Studienbedingungen. Die Öffentlichkeit einer Stadt bewertet ihre Universität vorrangig unter diesem Gesichtspunkt. Und gleich zu Beginn meiner Amtszeit hat der Senat der Stadt beschlossen, die Stellen und Mittel der Universität um ein Viertel innerhalb von zehn Jahren zu kürzen. Das ergab eine Konfliktsituation, die das Verhältnis zwischen Stadt und Universität sehr belastet hat.

Wieso wollten Sie an so einer Uni Präsident werden?

Für mich war die Universität Hamburg eine der interessanten Reformuniversitäten, in der ein Interdisziplinäres Zentrum für Hochschuldidaktik schon damals wegweisende Studienreformen förderte. In vielen Bereichen war sie eine der forschungsstarken Universitäten in Deutschland. Nach dem Aufbau einer neu gegründeten Universität in Oldenburg war dieser Wechsel wie ein Aufstieg in die Bundesliga.

Sie ließen die Lehre evaluieren. Warum war das nötig?

Die Universität Hamburg arbeitete, ebenso wie die Universitäten in Berlin, Köln oder München, unter sehr schwierigen Bedingungen. Der „Öffnungsbeschluss“ des Staates zwang die großen Universitäten, Studierende bis zur Grenze der Funktionsunfähigkeit aufzunehmen. Sie hatten nicht die Möglichkeit, diese Bedingungen zu verbessern und mussten darum andere Wege finden, trotzdem ein gutes Studium zu ermöglichen. Das hat die Universität Hamburg vor allem durch die von ihr initiierte Evaluation aller Studiengänge im Verbund Norddeutscher Universitäten in bemerkenswerter Weise geschafft.

Hat sich die Lehre da wirklich verbessert? Sind mehr zum Ziel gekommen?

Ja. Die Universität Hamburg hat im Vergleich der Universitäten und der meisten Fächer eher gute Absolventenquoten, geringere Abbrecherquoten und kürzere Studienzeiten. Zudem hat die Universität Hamburg einen optionalen Bachelorabschluss schon viele Jahre vor der ­Bologna-Reform eingeführt, die leider zur Überreglementierung der Studiengänge geführt hat.

Wie haben Sie der Uni ihren Stempel aufgedrückt?

Mit Blick auf die vom Senat geforderten drastischen Einsparungen habe ich die ganze Universität Hamburg durch eine externe Kommission unter Vorsitz von Professor Grotemeyer begutachten lassen, der übrigens auch Dieter Lenzen angehörte, der jetzige Präsident. Durch deren Empfehlungen bekam die Universität nachhaltig wirksame Qualitätsimpulse. Binnen zehn Jahren etablierten wir sieben interdisziplinäre Sonderforschungsbereiche, acht fächerübergreifende Forschergruppen,16 Graduierten-Kollegs und zwei Max Planck International Research Schools.

In Ihrer Amtszeit wurden auch Strukturen geändert. Was war falsch an der Gremien-Universität der 70er- und 80er-Jahre?

Die Gremien-Universität der 70er und 80er war nicht grundsätzlich falsch. Sie ging den richtigen Weg, alle Mitglieder durch Mitbestimmung zu aktivieren. Aber die in den 70er-Jahren entstandene Struktur hatte Effizienzmängel, weil sie die Verantwortlichkeiten nicht klar genug regelte.

Wie wurde das geändert?

Durch das größte, von der Volkswagen-Stiftung mit fünf Millionen Mark geförderte Organisationsentwicklungsprojekt im deutschen Hochschulbereich reformierten wir die Selbstverwaltung und Organisation der Universität mit dem Ziel, Verantwortlichkeiten klarer zu regeln, das Zusammenwirken aller Ebenen zu verbessern und Eigeninitiative zu fördern. Das führte zu einer besseren Balance zwischen Mitbestimmung und Effizienz.

Sie weiteten auch die Spendenfinanzierung aus. So entließen Sie den Staat aus der Verantwortung.

Das sehe ich anders. Wenn die Politik wahrnimmt, dass die Universität den Bürgern der Stadt privates Geld wert ist, entwickelt auch sie größere Wertschätzung und ist eher bereit, zusätzliches Geld zu investieren. In meiner Amtszeit hat die Universität insgesamt 100 Millionen Euro privates Geld eingeworben. So konnten die Flügelbauten zum Hauptgebäude errichtet, die zersplitterten außereuropäischen Sprachen und Kulturen dort konzentriert und ein bundesweit einzigartiges kulturwissenschaftliches Zen­trum eingerichtet werden. Dieser wichtige Impuls hat zu dem Exzellenz-Cluster Manuskriptkulturen geführt.

Was sagen Sie dazu, dass ihre alte Uni nun gute Chancen hat, Exzellenz-Uni zu werden?

Jürgen Lüthje, 77, ist Jurist und war von 1991 bis 2006 Präsident der Universität Hamburg. Zuvor war er von 1973 bis 1991 Kanzler der neu gegründeten Universität Oldenburg. Sein Buch „Die Universität als Republik“ erscheint in der Reihe „Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte“ im Reimer-Verlag.

Ich bin begeistert. Das ist die verdiente Anerkennung langjähriger Anstrengungen aller Beteiligten. Ich kenne die Entstehungsgeschichte aller jetzt ausgezeichneten Cluster. Exzellenz fällt nicht vom Himmel, sondern entwickelt sich über viele Jahre durch zielbewusste Förderung und gute Berufungen. Dieser langjährige Prozess ist durch meinen Nachfolger Dieter Lenzen erfolgreich fortgesetzt worden. Er hat die Entwicklung der Cluster wirksam koordiniert und diese im Verfahren hervorragend vertreten.

Sie haben aber stets für den Erhalt der Fächervielfalt gekämpft. Haben nicht jetzt die nicht-exzellenten Fächer Nachteile?

Die große Fächervielfalt ist eine der Stärken unserer Universität. Der ehemalige Senator Dräger wollte die Hälfte der geisteswissenschaftlichen Professuren streichen. Es war im Rückblick richtig, dass die Universität dieser Vorgabe nicht gefolgt ist. Die heutigen Exzellenz-Cluster zeichnen sich durch breit vernetzte Interdisziplinarität unter Einbeziehung nahezu aller Fächer aus.

Haben nicht doch einige Fächer Nachteile?

Nur ganz wenige Fächer sind an den Exzellenz-Clustern nicht beteiligt. Insofern bin ich überzeugt, dass die gesamte Universität von der Förderung der Cluster profitieren wird. Das gilt nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Lehre.

Die 100-Jahr-Feier steht an. Erinnern Sie die 75-Jahr-Feier? Die wurde wegen Studentenprotesten abgesagt.

Diese Proteste hatten einen guten Grund: Kurz vor dem Jubiläum der Universität beschloss der Senat der Stadt 1994 die Einsparung von einem Viertel der Stellen und Mittel der Universität. Ich konnte gut verstehen, dass die Studierenden dies als eine die Universität zerstörende Politik empfanden und keinen Anlass zum Feiern sahen.

Wird die 100-Jahr-Feier im kommenden Jahr anders als die 75-Jahr-Feier?

Sie steht zum Glück unter ganz anderen Vorzeichen. Inzwischen hat die Stadt die in den 90ern geforderten Haushaltskürzungen wieder rückgängig gemacht. Die Universität ist zwar immer noch nicht gut ausgestattet, aber längst nicht mehr so dramatisch unter Spardruck wie in den 1990er-Jahren. Die Exzellenzstrategie und ein allmähliches Umdenken der Politik lassen sogar auf Verbesserungen hoffen.