Verstörend war das Gesicht von Helmut Kohl

Der Elektronik-Held Aphex Twin war nach 15 Jahren Pause wieder in Berlin, um im Funkhaus einen Auftritt zu absolvieren

Von Andreas Hartmann

Ganze 15 Jahre ist es her, dass Aphex Twin, das irre Genie der elektronischen Musik, zuletzt in Berlin aufgetreten ist. Da hat sich einer also ziemlich rar gemacht, was wohl mit ausschlaggebend dafür war, dass die über 7.000 Tickets für seinen Gig am Donnerstag innerhalb eines Tages ausverkauft waren. Und das, obwohl die Ticketpreise obszön hoch waren. 70 Euro für ein DJ-Set – für das Geld kann man fünf Wochenenden hintereinander im Berghain durchtanzen, zu Dutzenden DJs von ebenfalls internationaler Güte.

Im Funkhaus Berlin, wo der Meister auftrat, hätte man einen angemessen weihevollen Rahmen für den großen Mythos Aphex Twin schaffen können. Der große Konzertsaal dort ist schließlich so imposant wie eine Kathedrale, das Comeback hätte man also wie einen Gottesdienst begehen können. Doch der „Mozart des Techno“, wie man ihn schon mal genannt hat, lud lieber in die schmucklose Shedhalle auf dem Gelände. Zu erwarten war, das signalisierte diese Wahl, eher ein Rave. Aber was genau passieren würde, wusste vorher niemand. Das gehört zum Mysterium Aphex Twin: Bei ihm kann man sich nie sicher sein, was er als nächstes aus dem Köcher holt. Im Vorfeld seines Auftritts gab es daher Fragen wie: Kommt er überhaupt? Und wenn, wird er zu sehen sein? Und: Ist er es auch wirklich?

Doch dann war alles eigentlich eher recht unspektakulär: Einer von den beiden Typen da vorne auf der Bühne, wahrscheinlich der mit den langen Haaren, das muss er gewesen sein. Der, der die ganze Zeit gebückt über seinen Gerätschaften hing und pausenlos an diesen herumschraubte. Der andere war wahrscheinlich der Mann für die Visuals.

Die erste, in dieser Klarheit dann doch erschütternde Erkenntnis des Abends war: Aphex Twin ist jetzt der große Innovator von gestern, der Typ aus den Neunzigern und nicht mehr derjenige, der auch heute noch in die Zukunft weist. Er haute diese ganzen verrückten Aphex-Twin-Sounds raus, Breakbeat-Geratter, Drill&Bass, dazwischen Ambient und Noise, Techno und sogar House. Es war alles dabei an Sounds, die Aphex Twin geprägt haben und die er wiederum geprägt hat. Es war eine Feier des „Hardcore-Continuums“, wie man noch bis vor ein paar Jahren die Vorstellung nannte, dass speziell britische elektronische Musik andauernd voranschreite in ihrer Drastik. Aber es war am Ende doch vor allem ganz klar ein Retro-Set.

Es wäre bestimmt dennoch ein großer Moment gewesen, hätten die 7.000 in der Halle irgendwann begonnen, zu dem Soundgewitter auch zu tanzen. Doch nicht zuletzt war es dafür wegen den unheimlich vielen Besuchern einfach zu eng. Mehr als ein gepflegtes kollektives Nicken mit dem Kopf nach alter Rockkonzert-Manier war nicht drin beim Publikum. Zwei Mal fragte Aphex Twin zwischen zwei House-Tracks „Can you feel it?“, doch selbst auf diese direkte Ansprache reagierte es nur mit äußerst verhaltener Euphorie.

So richtig verstörend waren bei dem ganzen Spuk eigentlich nur die Visuals. Die Aphex-Twin-Fratze, bekannt aus vielen dieser Musik-Clips, die Aphex Twins Hausregisseur Chris Cunningham so effektvoll einzusetzen wusste, morphte sich in die Gesichter einer seltsamen Reihung deutscher Prominenter. Helmut Kohl, Dirk Bach, sogar Daniel Küblböck waren alle ein wenig Aphex Twin. Aber auch Kraftwerk und deren einstiger Produzent, der legendäre Conny Plank. Was war das? Aphex Twins Verneigung vor der deutschen (Trash-)Kultur oder einfach nur ein Spaß? Wenigstens für ein bisschen Verwirrung hat er dann ja doch noch gesorgt.