Disco als Medium

Das Dice Festival im Arkaoda versammelt weibliche, Trans- und nichtbinäre Künstler. Und fragt: Lebt es sich ohne Identitätspolitik nicht besser?

Von Oliver Kontny

Mit einem Bein steht der hippe Istanbuler Club Arkaoda schon im Exil, und das in Rixdorf. Das vor einem Jahr eröffnete Arkaoda Berlin ist bereits in den letzten Monaten durch interessantes und vielseitiges Booking aufgefallen. Jetzt wird es Austragungsort eines kleinen Festivals, das vom 1. bis zum 3. November mit Workshops, Panels, Vorträgen und Liveperformances von weiblichen, Trans- und nichtbinären Künstlern und Referenten aufwartet. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Veranstaltungen für Cis-Männer offen.

Ohnehin verbreitet das Line-Up des Dice Festival alles andere als den Geruch einer identitätspolitischen Nischenveranstaltung. Lena Platonos etwa ist eine Musikerin, die seit den 80er Jahren als kretische Pionierin von Elektropop und Wave gilt. Seit das Label Dark Entries die klassischen Alben der griechischen Queer-Ikone auf Vinyl wiederveröffentlicht hat, steht sie bei einer jüngeren Generation hoch im Kurs, und ihr erstes Konzert in Berlin passt zu einem Herbst, der nicht so unangenehm werden möge wie die weltpolitischen Entwicklungen.

Nicht neu in Berlin ist das Performancekunstduo Faka. In Südafrika gegründet und international unterwegs, navigiert das Duo durch die „Cis-Heterotopien“ des postkolonialen Afri­ka und wählt, bei aller Liebe zur Rhetorik des queeren Aktivismus, doch lieber Disco als Medium. Moor Mother hat sich anders entschieden. Sie kreiert auf der Bühne die Aura einer Predigerin und kondensiert die jahrhundertelange Wut Schwarzer Frauen zu sehr kurzen, sehr heftigen Songs. Am Freitag ist sie im Haus der Berliner Festspiele mit der Band Irreversible Entanglements zu sehen, bei Dice im Arkaoda ist sie als DJ angekündigt.

Lyzza ist angeblich noch keine 20 und bedient sich gern der Ästhetik des Retro-Motown-Soul-Gesangs. Gepaart mit ihren selbst gebauten Club-Beats und frechen Texten, wirkt ihr Auftritt aber wie das coole Gegenbild zu all den jungen Adeles.

Gegenbild ist auch die Rapperin Ms Boogie. Die Schwarze Transfrau hat mit ihrem Album „Jesus Loves Me Too“ eine Persona geschaffen, die perfekt in das „Krasser als ihr alle“-Spiel des Rap passt, weil sie sich im wahren Leben vermutlich ohnehin immer mit allen anlegen muss. Witz, Selbstironie und ein Haufen Glamour zeigen, dass Rap ein ganz anderes Medium sein kann, als er das im deutschen Sprachraum geworden ist. Ah Mer Ah Su hingegen würde in einer idealen Welt auf Zuschreibungen wie „Schwarze Transfrau“ am liebsten ganz verzichten. Ihre charmant-ätzende Politik kommt im Gewand einer hausfrauenhaften „Basic Bitch“ daher, ihre schrägen Popsongs bleiben im Ohr.

Daneben ist auch Platz für den ätherischen Indie-Pop von Surma und für Kiki Hitori, die das sonische Universum uralter Videospiele mit artifiziellem Dancehall-Reggae zusammenwürfelt.

Selbstverständlich präsentiert das Dice Festival im Arkaoda auch Musikerinnen aus der Türkei. Mit Kim Ki O kommen endlich mal keine bärtigen Psychedelic-Rocker aus dem untergegangenen Beyoğlu, sondern ein Synth-Pop-Duo, das die Oberflächen der Entfremdung im durchgentrifizierten Teil der Millionenstadt zelebriert. Anlass genug, im Böhmischen Kirchensaal ein Panel zu Musik als Widerstandsform in der heutigen Türkei zu organisieren.

Daneben gibt es auch jeweils Workshops zu DJ-ing und Modularsynthese frei von erklärbärenden Dudes und ein eigenes Panel zu der Frage, ob wir uns der Identitätspolitik nicht lieber gänzlich entledigen sollten. Vermutlich wird jede Performance beim Festival ihre eigene, vermutlich nie eindeutige Antwort auf diese Frage geben.

1. bis 3. November, Programm unter www.dice.berlin