Fall kalt, Soko blamiert

Eine Hamburger Richterin kritisiert die Ermittlungen der Soko „Cold Cases“ heftig. Sie hätte teilweise verbotene Methoden angewandt

Wie die folgenden Ermittlungen aussahen, wurde erst im Laufe des Prozesses deutlich

Von Marthe Ruddat

Es hätte der Bilderbuchfall sein können: Die Hamburger Sonderkommission „Cold Cases“ rollt einen 38 Jahre alten Fall auf und kann schnell einen Verdächtigen präsentieren. Er wird angeklagt. Doch der Prozess endet nicht mit einer Verurteilung. ­Stattdessen wird der Angeklagte freigesprochen und die Arbeit der Soko massivst kritisiert. So geschehen vergangenen Mittwoch am Hamburger Landgericht.

In ihrer Urteilsverkündung warf die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring den Ermittlern schwerwiegende Fehler vor. Die Vernehmungsmethoden der Polizei seien eines Rechtsstaats unwürdig. Es seien vor Gericht nicht verwertbare Beweismittel produziert worden, so etwas dürfe sich niemals wiederholen, sagte die Vorsitzende. Statt den Fall als Erfolg „vermarkten“ zu können, müsse die Soko nun ihre Fehler aufarbeiten.

„Die schriftliche Urteilsbegründung des Gerichts liegt uns noch nicht vor“, sagt Polizeisprecher Ulf Wundrack. Der Leiter des Landeskriminalamts, Frank Martin Heise, habe trotzdem bereits eine vierköpfige Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Ermittlungen der Soko „Cold Case“ zu überprüfen. Das werde einige Tage in Anspruch nehmen.

Nach Berichten des Hamburger Abendblattes herrscht polizeiintern Entsetzen über das Vorgehen der Soko. Demnach sei die Frage, ob sich die Ermittler selbst unter Druck gesetzt hätten oder unter Druck gesetzt worden seien. Sowohl die Zukunft des Leiters der Soko, Steven Baack, als auch des Landeskriminalamtschefs werde hinterfragt. Andere von der Zeitung genannte Quellen nehmen die Vorwürfe gelassen, weil es nicht das erste Mal sei, dass Meier-Göring die Arbeitsmethoden der Polizei kritisiere.

Wegen versuchten Mordes stand ein 54-jähriger Mann vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, im November 1980 ein junges Mädchen in Steilshoop brutal überfallen zu haben. Die damals 16-Jährige wurde mit acht Messerstichen verletzt und konnte nur mit einer Notoperation gerettet werden.

Verdächtige gab es damals keine. Die vor knapp zwei Jahren neu gegründete Hamburger Soko „Cold Cases“ hatte den jetzt Freigesprochenen zwar schon im Visier, doch erst nach einem öffentlichen Zeugenaufruf hatte sie genügend Hinweise, um den Mann festzunehmen. Wie die folgenden Ermittlungen aussahen, wurde erst im Laufe des Prozesses deutlich – durch die Aussage des Opfers, das in dem Verfahren als Nebenklägerin auftrat und insgesamt zwei Tage lang vernommen wurde.

Die Soko hatte angegeben, dass das Opfer den Angeklagten mit 80- bis 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit als Täter identifiziert hat. Die Beamten zeigten der Frau acht Fotos und sagten ihr, dass einer der Männer der Täter sei. Nur ein Mann trug auf dem Foto Kleidung aus den 80er-Jahren, alle anderen zum Teil Pullover mit aktuellen Aufdrucken. „Es ist verboten, einem Beschuldigten oder einem Zeugen falsche Vorspiegelungen zu machen“, sagte die Richterin. Heraus kam auch, dass die Polizei dem Verdächtigen und anderen Zeugen erzählt haben soll, DNA-Spuren und Fingerabdrücke auf der Tatwaffe gefunden zu haben. Tatsächlich wurde das Messer aber schon vor über 16 Jahren zusammen mit anderen Gegenständen vom Tatort vernichtet – aus Versehen.

Nach Berichten des Hamburger Abendblattes fehlte in der Gerichtsakte außerdem eine E-Mail des Opfers an den Soko-Leiter. Darin hatte die Frau geschrieben, dass möglicherweise nicht der Angeklagte, sondern der „Göhrde-Mörder“ sie angegriffen haben könnte.

Darüber hinaus änderte sich die Aussage eines Schulfreundes des Angeklagten plötzlich um 180 Grad. Erst habe er sich an nichts erinnern können. Eine Woche später, nachdem die Polizei ihm von einer 3.000-Euro-Belohnung erzählte und Hilfe in einem Strafverfahren anbot, sprudelte es laut Richterin nur so aus dem Zeugen heraus. Die Polizei hatte ihm genau gesagt, woran er sich bitte erinnern sollte.

„Der Fall hat am Ende nur Verlierer“, sagte die Richterin in ihrer Urteilsverkündung. Es müsse bitter und unerträglich für das Opfer sein, dem innere Ruhe und die Hoffnung auf Aufklärung geraubt worden seien.

Der freigesprochene Mann saß viereinhalb Monate in Untersuchungshaft, wurde während der Zeit krank. „Für jemanden, der unschuldig ist, muss das schrecklich sein. Und sie sind unschuldig“, sagte die Vorsitzende. Dem Mann steht für die Zeit der Untersuchungshaft eine Entschädigung zu. Ob er darüber hinaus Schadensersatz fordern wird, ist noch nicht klar.