berlinmusik
: Kaputtness
& Selfness

Für Gitarrenmusik aus Berlin hat das Label Späti Palace schon immer ein verlässliches Gespür gehabt, so erschienen dort in der Vergangenheit unter anderem Alben von Skiing, Fenster oder Kala Brisella. Die nächste Entdeckung der Spätis hört nun auf den Namen Voodoo Beach und hat Ende Oktober die erste EP („Ozean“) veröffentlicht. Voodoo Beach fügen sich bestens in die Reihe hoffnungsvoller junger Gitarrenbands wie etwa Friends Of Gas, Erregung Öffentlicher Erregung und Hope. Mit den Genannten haben sie einiges gemein: eine düstere Atmosphäre, einen sehr eigenständigen (weiblichen) Gesang, eine Portion Rohheit und Kaputtness in den Songs. Das Auftaktstück „Wahn“ hat deutliche Postpunk-Anleihen, Sängerin Verita Vi singt darin kühl und technokratisch („Alles was ich seh, seh ich nicht klar/ alles was du sagst, führt mich in den Wahn“), während sich Gitarre und Bass dahinschleppen. Insgesamt sind Voodoo Beach aber stärker von Vorgängerepochen wie Garage Rock und Blues geprägt. Dass das gemischte Quartett – zwei m, zwei w – ein Händchen dafür hat, Songs zu arrangieren, wird spätestens mit dem versteckten Hit „Tag 0“ deutlich. Auch die Lyrics überzeugen, sie lassen Assoziationen zu und haben Tiefe. Ist ja auch eigentlich klar bei einer EP, die „Ozean“ heißt.

Aus einem hochspannenden Umfeld stammt der US-Musiker Colin Self. Er hat mit Holly Herndon und Mat Dryhurst zusammengearbeitet, beschäftigt sich inhaltlich wie diese mit den technologischen Umwälzungen des digitalen Zeitalters („I see on my screen all the doubt, where it comes from, why you trust in no one“, singt er etwa in „Foresight“), ist aber zudem geprägt von Riot Grrrl und queeren Sounds. Auf „Siblings“, seinem zweiten Album, versucht Self einen sehr breiten Spagat zwischen (Synth-)Pop, Songwriter, Oper, Techno und EDM – von all jenen Genres klingt etwas an. Mal knallen die Beats, dann erklingt ein orchestrales Stück, dazu singt Self mit meist hoher Kopfstimme. Auf Dauer erscheint das zu ambitioniert. Man spürt in fast jeder Sekunde das Potenzial, das in dem 31-Jährigen steckt, aber „Siblings“ ist mit zu vielen Brüchen versehen, das Album ergibt keine Erzählung, schubst den Hörer eher von eine Ecke in die andere. Jens Uthoff

Voodoo Beach: „Ozean“ (Späti Palace/Morr Music), Live: 18. 11., Urban SpreeColin Self: “Siblings“ (RVNG/Cargo)