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: Traumhaus Altenheim

Ein Senioren- oder Pflegeheim muss kein Albtraum sein, wenn alternative Modelle wie Genossenschaften profitorientierte Investoren ablösen würden

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Hanno Heil Jahrgang 1956, lebt in der Nähe von Limburg und ist Lehrbeauftragter und Projektleiter an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar am Lehrstuhl Pastoraltheologie. Er ist zudem Vorsitzender des Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland.

Eine Wohnung, ein Haus kaufen, „ein Nest bauen“, das ist ein typisches Projekt für das dritte oder vierte Lebensjahrzehnt. Dafür wird gespart, werden Finanzierungslösungen gesucht, und dann wird gebaut. Drei oder vier Jahrzehnte später steht – ebenso typisch – das Projekt „Umzug ins Seniorenheim“ an. Während Ersteres unter der Überschrift „Traum von den eigenen vier Wänden“ steht, haftet sich an das zweite Projekt schnell ein Titel wie „Albtraum Altenheim“ an. Während das Projekt „Nestbau“ unter dem Stern von Kreativität und Freiheit steht, wird der Umzug ins Altenheim mit Uniformität und Gängelung assoziiert. Warum eigentlich? Ist das Negativimage des Altenheims naturgegeben? Meine erste These: Jede Gesellschaft hat die Altenheime, die sie finanziert und baut.

Mein Beleg dazu: Das Prospekt für das Seniorenheim in M., welches mir eine „Investition mit Weitblick“ offeriert: Ich investiere in einen „Wachstumsmarkt“, ich profitiere vom „Wertsteigerungspotenzial einer Sachwertanlage“ und von „bis zu 40 Prozent höhere(n) Pachterträgen als bei vermieteten Eigentumswohnungen“. Aber wenn ich mir die Grundrisspläne ansehe, finde ich statt Weitblick enge, lange, gerade Flure. 20 Quadratmeter große Pflegezimmer, kleine Gemeinschaftsräume mit minimalem Balkon und ohne Küchenzeile. Ich sehe eine Eingangssituation, die das Haus eher schließt als öffnet – ein Minimalprogramm, dem man jetzt schon ansieht, dass Pflegebedürftige hier eher verwahrt als aktiviert werden.

Wer wird an diesem Haus seine Freude haben? Auf jeden Fall die Investoren, denen je nach Eigenkapitaleinsatz und Abschreibungsmöglichkeiten eine Anfangsrendite von 7 bis 11 Prozent auf ihr eingesetztes Kapital vorgerechnet wird. Und die künftigen Bewohner? Immerhin wird mir im Prospekt ein „bevorzugtes Belegungsrecht“ angeboten, wenn ich mir als Privatanleger für circa 160.000 Euro ein Apartment kaufen will. Aber Moment mal, las ich da nicht gerade in einer Studie von „Gesamtinvestitionskosten von durchschnittlich 100.000 Euro je Pflegeplatz“? Bei dieser Differenz müsste das Apartment ja eine Luxusimmobilie sein. Bauplan und Beschreibung allerdings künden nur von standardisierter Langeweile. Da hat der Zwischenhandel offenbar schon zugeschlagen. Immerhin, an den Betreiber wurde gedacht: Seine „speziellen Belange“ sind berücksichtigt. „In dem Neubau ist durch die Gestaltung eine optimale Betriebsführung unter allen Gesichtspunkten möglich.“ Und die Mitarbeitenden? Sie tauchen in dem Prospekt an keiner Stelle auf.

Es sind nicht nur die Investmentgesellschaften mit Sitz auf den Kanalinseln oder in Kalifornien, die in Deutschland solche renditestarken „Investitionen mit Weitblick“ tätigen. Verkauft wird auch an Privatpersonen, die ihr Erspartes anlegen möchten. Sie finanzieren damit eine Gebäudestruktur und Betreiberphilosophie mit, die eigentlich niemand will. So entsteht eine „Pflegelandschaft“, die dem Traum von der Superrendite folgt, aber nicht dem vom Altwerden nach eigenen Vorstellungen in Würde und Selbstständigkeit. Dabei gibt es Altenheime, die sich ganz anders zeigen. Deshalb meine zweite These: Auch ein Altenheim kann ein „Traumhaus“ sein.

Meine Belege dazu: Im Sommer besuchte ich die Maro Genossenschaft, eine von BürgerInnen betriebene, nicht gewinnorientierte Genossenschaft für gemeinschaftliche Wohnformen im ländlichen Raum rund um München. Das im Bau befindliche Projekt umfasste eine Pflegewohngemeinschaft, eine Demenzwohngemeinschaft, verschiedene 1- bis 4-Zimmer-Wohnungen, Büro- und Gewerbeeinheiten sowie einen großen Gemeinschaftsraum. Alles in klimafreundlichem Holzbau rund um einen kleinen Hof. Was kann sich hier an Begegnung und Leben entfalten! Hinter dieser Initiative steht der Grundsatz des Vordenkers der Genossenschaftsidee, Friedrich Wilhelm Raiffeisen: „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“ Das Potenzial dieses Leitsatzes bringt den deutschen Pflegemarkt neu in Bewegung. Wohnbaugenossenschaften kooperieren mit ambulanten Pflegediensten und schaffen Raum für Pflege- oder Demenzwohngruppen.

Ähnlich gelungen ist die Wohn-Pflege-Gemeinschaft in Marienrachdorf im Westerwald: gegründet von einem Unternehmer, der einer Angehörigen eine gute Pflegesituation verschaffen wollte. Mit Beratung durch einen Pflegedienst baute er sein Elternhaus, einen Bauernhof, um und darin zwei ambulant betreute Pflegewohngemeinschaften. Hier können Senioren mit Demenz und Pflegebedarf mitten im Ort gut leben.

Oder das Altenzentrum St. Stephan in Andernach am Rhein. Dort hat eine Pfarrgemeinde gebaut. Geht man durch das Haus, fallen die weiten Flure, die großzügigen Gemeinschaftsräume mit Fensterfronten, die Sitzecken und Treffpunkte auf. Was auch auffällt, sind die Porträts in den Fluren, die daran erinnern, wer hier Geld gestiftet hat.

Auch Privatpersonen finanzieren eine Betreiberphilosophie mit, die eigentlich niemand will

Es ließen sich viele Projekte hinzufügen, die eines gemeinsam haben: alt oder pflegebedürftig zu werden kann zu einem Umzug führen, der „passt“. Wo sich Menschen in Genossenschaften, gemeinnützigen Gesellschaften, Vereinen, Stiftungen oder Kirchengemeinden zusammenschließen, lassen sich Pflegeeinrichtungen bauen, die nicht zum Albtraum, sondern zur Realisierung einer Vision vom guten Leben werden. Häuser, in denen man gern wohnen und arbeiten möchte.

Wenn wir unsere Träume verwirklichen wollen, gilt: Es ist genug für alle da. Die 40 Milliarden Euro, die für die bauliche Pflegeinfrastruktur in den kommenden zehn Jahren aufzubringen sind, können wir als BürgerInnen selbst locker aufbringen, denn auf unseren Konten liegen derzeit 5.875 Milliarden Euro Geldvermögen. Ein großer Teil dieser Vermögen gehört den SeniorInnen, für die das Thema Pflegebedürftigkeit nicht mehr so weit entfernt ist. Es liegt an uns, an welchen Orten und wie wir in den nächsten Jahren gepflegt werden.