Kampf der Ermüdeten

Beim ATP-Finalturnier zeigen die Spieler nur mäßiges Tennis. Die Belastung in der Saison ist zu hoch. Djokovic dürfte im Duell gegen Zverev ausgeruhter sein

Herausfordernder Kraftakt: Alexander Zverev stecken 73 Saison­spiele in den Knochen Foto: reuters

Aus London Doris Henkel

Es war wie so oft in letzter Zeit. Wie von einem Motor mit zwölf Zylindern angetrieben, rauschte Novak Djokovic über den Platz; vor und zurück, von rechts nach links. Elastisch wie ein Gummimann grub er auf quietschenden Sohlen Bälle unter Kniehöhe aus, und er zeigte keinerlei Zeichen von Müdigkeit. Sicher, auch er spürt die Anstrengungen des Tennisjahres beim Showdown in der Londoner Arena, aber es macht einen Unterschied, ob man wie er selbst 61 Spiele aus knapp elf Monaten in den Knochen hat oder wie Alexander Zverev 73. An diesem Mittwoch werden sich die beiden im zweiten Gruppenspiel begegnen (Beginn 15 Uhr); mit besten Chancen, sich für das Halbfinale zu qualifizieren, für den Sieger, aber mit Aussichten auch für den Verlierer.

Nach permanenten Wechseln von Klimazonen und Kontinenten, nach Hunderten von Kilometern auf dem Platz, nach Tausenden von Schlägen während des Jahres gibt es keinen, der bei den ATP Finals voll im Saft steht. Dass Djokovic offensichtlich der Fitteste unter den Ermüdeten ist, hat vor allem mit dem Beginn des Jahres zu tun, als er nach einem Eingriff am rechten Ellbogen sechs Wochen nicht spielte. Als er im März zurückkam, hatte Zverev schon elf Spiele hinter sich. Der Vergleich mit anderen sieht ähnlich aus; der Österreicher Dominic Thiem ist nach Zverev der Spieler mit den meisten Einsätzen in diesem Jahr (72), Roger Federer hingegen hat wegen seiner Pause in der Sandplatzsaison noch weniger Spiele in den Beinen als Djokovic (56).

„Frisch ist hier keiner mehr“, sagt Zverev, und diese Erklärung führt vielleicht auch zur Antwort, warum die Qualität der Partien an den ersten Tagen des Turniers eher mittelprächtig war. Der Rest des Problems liegt auf dem blauen Hartplatz der Arena, über den jeder offenbar eine andere Meinung hat. Djokovic fasste es nach seinem eindrucksvollen Auftritt im ersten Spiel gegen John Isner so zusammen: „Du musst auf diesem Boden immer in Alarmbereitschaft sein, musst sehr kompakt in der Körpermitte sein und musst deine Stellung zum Ball ununterbrochen anpassen. Der Boden zwingt dich zu noch mehr Beinarbeit, und vermutlich ist das der Grund, warum ihn die Spieler als kompliziert und fordernd wahrnehmen.“

Djokovic gewann fünf von neun Titeln. Das Management von Reserven beherrscht er

Die Art, wie er Isners gefürchtete Aufschläge returnierte, kann man als Zeichen deuten, dass Zverev heute auch alle Hände voll zu tun haben wird. Von den beiden gemeinsamen Begegnungen bisher gewann jeder eine: Zverev auf Sand im Finale des Masters-1000-Turniers in Rom im vergangenen Jahr, Djokovic auf einem Hartplatz vor ein paar Wochen in Schanghai. Doch in China plagte sich Zverev mit einer Erkältung herum, weshalb Djokovic überzeugt davon ist, diesmal auf härtere Gegenwehr zu stoßen.

Das spezielle Format der ATP Finals mit drei Spielen in der Vorrunde hat seine Tücken – vor allem, wenn es einem in den letzten Arbeitstagen des Jahres schwer und schwerer fällt, in jeder Situation konzentriert zu sein. Die Möglichkeit, auch nach Niederlagen im Halbfinale landen zu können, öffnet viele Türen, aber das macht es nicht immer leichter. Bei einem normalen Turnier ist die Sache überschaubar und klar: Wer verliert, der ist raus, und wer gewinnt, der darf weiterspielen. Doch wenn die Vorrunde erledigt ist und sich die Spieler auf die letzte Strecke des Weges machen, dann wird alles wie immer sein. Seit 2009 wird in London um den Titel gespielt, und in dieser Zeit gibt es keinen, der dabei erfolgreicher war als Novak Djokovic. Von neun Titeln in dieser Zeit gewann er fünf, dazu stand er einmal im Finale. Mit dem Management der Reserven beim letzten Hurra kennt er sich also aus, und dass diese Reserven diesmal von vornherein größer sind als bei den Konkurrenten, wird vermutlich kein Nachteil sein.