Kunst für Innenminister

Aus einem interkulturellem Duo wird Trio: Gintersdorfer/Klaßen und ihr ivorisches Team gehen im HAU auf Kabuki-Expedition. War die japanische Kunstform einst ein Frauen-Ding oder gar Prostituierten-Empowerment?

Kabuki mit ivorischen Performer*innen = „Kabuki noir“ Foto: Knut Klaßen

Von Astrid Kaminski

Vom Regiepult aus quatscht jemand rein. Ist es der Beleuchter oder der Regisseur? Egal. Er soll die Klappe halten. Sagt Franck Edmond Yao. Der ivorische Darsteller lässt sich vom weißen Regiepult nicht reinquatschen. Diese Szene ist die Messlatte, wenn es um das Humor- und Selbstabsicherungslevel bei Gintersdorfer/Klaßen geht. Auch in „Kabuki Noir“, das jetzt am HAU Hebbel am Ufer Station machte, arbeitet das Künstler*innen-Duo wieder mit Performer*innen aus der Elfenbeinküste zusammen. Das hat inzwischen lange Tradition. Ein Teil des Jahres wird dort geprobt.

Yao ist dabei die stabilste Größe. Sein gespielter Proll-Humor, mit dem er weiße Mitperformer*innen als Konzeptheinis abkanzelt und den lernbegierigen Deutschen was über „chez nous“ oder Pariser Clubs erklärt, gehört zum Wiedererkennbarsten, was die Performanceszene zu bieten hat. Mit zur Masche gehört auseit der erfolgreichen „Logobi“-Reihe – in der choreographische Handschriften zerlegt und mit dem virtuosen ivorischen Clubbing-Stil Coupé-Décalé gegengeblendet werden – die auch Körpersprache umfassende Live-Übersetzung. Die ist gespickt mit allen Transfer-Gags, die von Idiom zu Idiom so loszutreten sind. Und damit sie sich auch lohnt und die Schulfranzösisch-Leute im Publikum sich nicht langweilen, serviert Yao dafür ein konsonantisches Ivorisch-Französisch im Vorspultastentempo.

Hauke Heumann spielt die Übersetzerrolle, wie sie Niels Bormann (seit den frühen Stücken von Gorki-Hausregisseurin Yael Ronen) geprägt hat: als dümmlich-streberhafter, fürs Fettnäpfchen begabter Deutscher. Nur cooler. In Designer-Nadelstreifen-Latzhose mit Titten-Print-T-Shirt und Zehensocken macht er Sprüche locker wie: „Körperbehaarung hat kein Gender.“ Damit steht er in etwa auf Augenhöhe mit der Selbstauskunft des gutgelaunten Publikums, das schon vor der Übersetzung von „Applaudissez!“ ganz begeistert in die Hände klatscht. Krasser Fall von vorauseilendem Gehorsam bei krasser interkultureller Kompetenz.

Wiedererkennbarkeit und Handschrift ist das eine. Inhalt das andere. Das eine ohne das andere läuft leer. Nachdem Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen jahrelang die eurafrikanischen Beziehungen inszeniert haben, wurde es Zeit für eine dritte Komponente: Japan. Am besten was Urjapanisches. Kabuki! Kabuki mit vier ivorischen Performer*innen = „Kabuki noir“! Mal abgesehen von vier Weißen und einem Japaner mit mutmaßlichem Autorisierungsauftrag (Teppei Ozawa, eher unauffällig, süß aber der Deutschpop-Titel: „Wir hauen aus der Hauptstadt ab“ im Duo mit der turboblondierten Montserrat Gardó Castillo).

Kabuki ist die japanische Wagner-Oper, ein Gesamtkunstwerk aus Gesang, Tanz und Schauspiel. Und weil es vielleicht kein japanisches Bayreuth gibt, übernehmen Gintersdorfer/Klaßen diesen Job im Dienst der Völkerfreundschaft und touren so lange nomadisch um die Welt, bis Abe Shinzō im vollen Besitz der Weisheit seiner vierten Amtszeit sie in die heiligen Hallen des Tokyoter Kabuki-za einlädt.

Didaktik ist ihnen wichtig. ­Alles, was gemacht wird, wird auch erklärt. Das Coupé-Décalé-Element versteht sich hier, ­abgeleitet von „couper“, im Sinn von Sichbedienen. Auch das Kabuki habe sich an gängigen Moden und beim Nō-Theater bedient, war eigentlich ein Frauen-Ding, höchstwahrscheinlich sogar Prostituierten-Empowerment, was sich dann natürlich Männer unter den Nagel gerissen haben.

Also wird gecoupt. Es geht ein Steg ins Publikum. Knut Klaßen hat bewundernswert stylische Kimono-Skulptur-Varianten mit szenischen Mechanismen entworfen. Gründungsmythos und einzelne Szenen aus dem Kabuki-Repertoire werden im tippelnden Schlürfschritt eingeführt und epische Gesänge zwischen Kehlkopf und Kopfstimme gesundheitsgefährdend abgemixt. Höhepunkt ist ein Auszug aus dem Kanjinchō, der Geschichte um den „Grenzwächter“ (so ungefähr) Togashi, der sich über die Regeln hinwegsetzt und, nach einer Reihe von Prüfungen, den verfolgten Yoshitsune ziehen lässt. Fazit: “Wir brauchen Innenminister in der Togashi-Tradition!“

Fazit zwei: Den Kulturenclash mit Tagespolitik, Ethnologie-Soduko und Diskurspop abzumischen ist netter Trash. Gut eingespielt. Die Gefahr, dass das den „Muss man doch mal sagen/machen können“-Leuten auch gefällt, ist durchaus gegeben, vielleicht ist es aber auch keine. Größer ist die Gefahr, vielleicht ist es auch keine, dass aus kultureller Differenz ein abgekartetes Spiel (selbst-)ironischer Distanz wird.