Interview zu Musterfeststellungsklagen: „Ein Schritt zu mehr Augenhöhe“

Die Musterfeststellungsklage hat Defizite. Aber sie ist das, was in dieser Legislatur mehrheitsfähig war, sagt der Chef der Verbraucherzentrale.

Lebensmittelampel auf einer Nudelverpackung

Eine Möglichkeit, Transparenz für Verbraucher zu schaffen: die Lebensmittelampel Foto: imago/Reporters

taz: Die Verbraucherverbände haben mit der Musterfeststellungsklage de facto ein Monopol. Freuen Sie sich darüber?

Klaus Müller: Nein, es ist kein Monopol. Es gibt viele klagebefugte Verbraucherverbände. Der VZBV hat auch Modelle für die Gruppenklage immer unterstützt, also die Selbstorganisation der Verbraucher mit eigenen Rechtsanwälten. Die Musterfeststellungsklage schließt an die deutsche Rechtstradition an, danach sollen die klagebefugten Verbände in der Lage sein, auch wirklich bis zur höchsten Instanz, also sechs bis sieben Jahre, durchzuhalten. Sie ist das, was in dieser Legislaturperiode im Bundestag mehrheitsfähig war. In drei bis vier Jahren wird man das evaluieren und schauen, ob man das verbessern kann.

Weshalb hat die Regierung auf die Möglichkeit einer Gruppenklage verzichtet?

Weil die Union das nicht wollte. Weil es ganz klare Interessen auch der Wirtschaftsverbände gab, die Angst davor haben, dass Rechtsanwälte Sammelklagen als Gruppenklage einreichen können. Das Beste, was die SPD in dieser Legislaturperiode durchsetzen konnte, war die Musterfeststellungsklage. Übrigens war auch bei Jamaika die Musterfeststellungsklage vereinbart.

Nach welchen Kriterien wollen die Verbraucherverbände entscheiden, welche Klagen sie vertreten?

47, ist seit Mai 2014 Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (VZBV)

Wichtig ist zunächst die Relevanz der Klage. Musterfeststellungsklagen sind dann sinnvoll, wenn eine größere Zahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern betroffen ist. Es sollten Fallkonstellationen betroffen sein, bei denen individuelle Klagen sich nicht lohnen. Das heißt, es könnte um überhöhte Bankgebühren gehen, um Versicherungsbedingungen, um Reiserecht, es wird auch im E-Commerce Fälle geben. Wir reden da von Beträgen zwischen 50 und 500 Euro – Volkswagen ist absolut untypisch. Die einzelne Verbraucherin würde dafür nicht vor Gericht gehen. In der Summe entstehen aber massive Schäden bei Verbrauchern und vor allem auch Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen, das gegen Gesetze verstößt.

Stehen die VerbraucherInnen den Unternehmen jetzt auf Augenhöhe gegenüber?

Nein, aber wir haben uns einen Schritt in Richtung Augenhöhe bewegt. Die Musterfeststellungsklage hat ja einige Defizite. Wir müssen zum Beispiel 50 Betroffene sammeln, das bedeutet für viele Mietrechtsfragen, die man so sehr gut hätte lösen können, ein K.-o.-Kriterium, weil man nicht 50 Mieter mit dem gleichen Problem gesammelt kriegt. Zweitens, wir haben keine Leistungsklage, nur eine Musterfeststellungsklage, das heißt, es wird nur festgestellt, dass ein Unternehmen betrogen hat, aber nicht, in welcher Höhe ein Schadenersatz zu leisten ist. Augenhöhe ist das nicht. Wir sind beim Bauchnabel angekommen.

Schadet die schwache Verbraucherpolitik nicht auch den Unternehmen?

Zu schwache Verbraucherpolitik ist auch innovations- und wirtschaftsfeindlich. Wir sehen in den verschiedensten Märkten ein großes Misstrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Große Teile der Bevölkerung misstrauen zum Beispiel digitalen Angeboten und sind deshalb natürlich auch von den Möglichkeiten abgeschnitten, die solche Märkte bieten. Auch im Bereich Banken und Versicherungen fürchten viele Menschen, dass ihre Rechte hier nicht angemessen geschützt sind.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.