Das Recht, Nein zu sagen, ohne dass Sanktionen drohen

Warum Streit für die Demokratie wichtig ist und wie die sich die Öffentlichkeit fragmentiert: Am Samstag gab es in Frankfurt am Main die 46. Römerberggespräche

Die 46. Römerberggespräche in Frankfurt galten einem ebenso aktuellen wie spannenden Thema: „Die neue Lust an der Zerstörung oder wie die Demokratie ihre Fassung bewahrt.“ Dazu referierten und diskutierten am letzten Samstag sieben Autorinnen und Autoren aus der Wissenschaft. Für die Aktualität, ja Brisanz des Themas sprach der Publikumsandrang.

Viele Interessierte mussten sich Vorträge und Debatten auf dem Flur anhören. Die Politikwissenschaftlerin und Friedensforscherin Nicole Deitelhoff machte in ihrem Vortrag deutlich, dass Streit für die Demokratie zentral ist. Verständigung, Konsens und Kompromiss gehören zwar genuin auch zur Demokratie, aber Streit über unterschiedliche Interessen, Wertorientierungen und Perspektiven bilden so etwas wie den normativen Kern der Demokratie: Das Recht und die Möglichkeit, „Nein“ zu sagen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.

Streit unter Gleichen impliziert die gegenseitige Anerkennung, unabhängig davon, was die Streitenden sonst unterscheidet. Streitverweigerung ist im Sinne der Demokratie nur legitim, wenn eine Seite der anderen die Gleichberechtigung oder die menschliche Würde abspricht oder gar mit Gewalt droht, um Argumente zu armieren oder deren Fehlen zu kaschieren. Demokratische Streitkultur fällt nicht vom Himmel. Nicole Deitelhoff betonte deshalb ganz energisch, dass Streitkultur zur politischen Bildung auf allen Stufen der Ausbildung vom Kindergarten bis zur Hochschule gehörte.

Der Berliner Politikwissenschaftler Thorsten Thiel illustrierte die Chancen, Untiefen und Fallen der digitalen Öffentlichkeit, in der Personalisierung und Manipulierbarkeit von Fakten zu Fake News und die damit verbundene Fragmentierung und Pluralisierung von Öffentlichkeit so gestiegen sind, dass die Demokratie gefährdet werden kann. Thiel plädierte gegen die Bekämpfung von Auswüchsen in den sozialen Medien mit technischen Mitteln und für die Förderung funktionierender Netzöffentlichkeit – etwa bei Wikipedia.

Die Historikerin Ute Frevert bot einen weit ausholenden Überblick zur Funktion von Gefühlen in der Politik. So bilden diese einen durchgehend ambivalenten Mobilisierungsfaktor, da dieser Individuen stärken, zugleich aber auch politische Feindbilder produzieren kann.

Christoph Möllers, Verfassungsrechtsprofessor, warnte in seinem Vortrag davor, Verfassungen als rechtliche Verfahrensordnungen in ethisch-moralische Tugendkataloge umzudeuten, wie das mit der Präambel des Grundgesetzes über die Unantastbarkeit der Würde des Menschen mehrfach geschehen ist und zuletzt von der Führung des FC Bayern für das ordinäre interessengesteuerte Handgemenge instrumentalisiert wurde. Angesichts der internationalen Dimension des Themas war es ein Defizit der Tagung, dass nur die deutsche Perspektive belichtet wurde. Rudolf Walther