Kommentar Femizide in Deutschland: Gewalt gegen Frauen hat System

Frauen müssen Angst um ihr Leben haben, weil sie Frauen sind. Die Verharmlosung häuslicher Gewalt muss aufhören und ihre Aufklärung einsetzen.

Zwei Schatten: Eine Frau wehrt den Arm eines Mannes ab

Beratungsstellen und Hilfetelefone müssen ausgebaut werden Foto: dpa

Sechs Männer vergewaltigen und foltern in Indien eine Studentin in einem Bus, sie stirbt an ihren inneren Verletzungen. Bei Demonstrationen auf dem Tahrirplatz im ägyptischen Kairo werden Frauen umringt, von der Gruppe getrennt und vergewaltigt. Die 15 Jahre alte Mia aus Kandel wird von ihrem Ex-Freund aus Afghanistan ermordet. All das sind Fälle von Gewalt gegen Frauen, die in deutschen Medien skandalisiert werden – zu Recht.

Nicht skandalisiert wird, dass in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau umgebracht wird, in den meisten Fällen von ihrem eigenen deutschen Mann. Nicht skandalisiert wird, dass die Anzahl von Frauen, die verprügelt, verbrüht, gewürgt werden, deren Kiefer gebrochen und auf die ­geschossen wird, in Partnerschaften mit deutschen Männern bei rund 77.000 angezeigten ­Fällen jährlich liegt – und die Dunkelziffer liegt viermal so hoch.

Nicht skandalisiert wird, dass jede dritte Frau in Deutschland zwischen 16 und 85 Jahren körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt hat, die meisten davon durch deutsche Täter.

Gewalt gegen Frauen und Femizide – das betrifft immer nur die anderen. Aus einer kulturell scheinbar überlegenen Position heraus ist es hierzulande kaum Thema, dass die physische und psychische Gesundheit und die Rechte von Frauen so massiv verletzt werden. Vielleicht passiert mal eine „Beziehungstat“, eine „Familientragödie“ oder ein „Eifersuchtsdrama“ im privaten Schlafzimmer – aber das nur, weil der Täter so darunter litt, dass seine Frau ihn verlassen wollte. Als Frauenmord wird das nicht bezeichnet.

Endlich umfassend aufklären

Gewalt ist ein Mittel, um Frauen zu kontrollieren. Dass die Taten deutscher Männer verharmlost werden, liegt daran, dass sie es sind, die hegemoniale Macht haben. Das Wort einer Frau kommt nicht an gegen das des Chefredakteurs oder des Wirtschaftsbosses. Denn das Bild, das diese Männer von sich zeichnen, ist keines, in dem sie ihre Frauen zusammenschlagen. Doch sie tun es, wie die Kriminalstatistik deutlich zeigt.

Auch weil diese Taten medial kaum interessieren, sind Strukturen, die sie auffangen, eklatant unterfinanziert. 350 Frauenhäuser kennen keine andere Situation, als ausgebucht zu sein. Und das Papier, das die Bundesrepublik im Rahmen der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen zu Prävention, Schutz der Opfer und Bestrafung der Täter verpflichtet, ist geduldig.

Über Gewalt muss endlich umfassend aufgeklärt, Beratungsstellen wie Hilfetelefone müssen ausgebaut – und die Täter müssen bestraft werden. Dass Frauen Angst um ihr Leben haben, weil sie Frauen sind, ist Alltag im Deutschland des Jahres 2018. Es ist der Schmerz jeder Einzelnen – aber die Gewalt hat System. Und sie muss endlich zum Skandal werden.

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war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erscheint mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

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