Grüner Treibstoff aus der Kloschüssel

Neue Technik soll Abwasser sauberer machen und gleichzeitig Wasserstoff daraus gewinnen. Ein Beitrag zur Verkehrswende, meinen die Entwickler

„Es ist nicht zielführend, sich allein auf den Elektroantrieb zu fokussieren“

Jens Hanke, Graforce-Gründer

Von Bernward Janzing

In einem Berliner Klärwerk wird das Technologie-Unternehmen Graforce ein Verfahren testen, das Abwasser durch den Entzug von Stickstoffverbindungen reinigt und gleichzeitig umweltfreundlichen Kraftstoff erzeugt.

Mit der sogenannten Plasmalyse soll speziell umweltschädliches Ammonium, das in Abwässern nach Abtrennung des Klärschlamms noch in großer Konzentration enthalten ist, in seine atomaren Bestandteile Stickstoff und Wasserstoff zerlegt werden. Der Stickstoff kann dann in die Luft abgegeben, der Wasserstoff als Treibstoff genutzt werden. Eine Demonstrationsanlage gibt es bereits im Technologiepark Berlin-Adlershof.

Die Anlage erzeugt oberhalb der Wasseroberfläche ein starkes elektrisches Feld. Dieses führt zu Entladungen, wodurch die molekularen Bindungen im Schmutzwasser zerstört werden. Die Moleküle zerfallen dabei in ihre atomaren Bestandteile. Weil die Bindungsenergie des Ammoniums geringer ist als die des Wassermoleküls, würden vor allem die Schadstoffmoleküle zerstört, erklärt Projektmanager Marc Dünow. Mittels einer Membran werden anschließend Wasser-, Sauer- und Stickstoff sortiert.

Ammonium ist eine ergiebige Wasserstoffquelle, da jedes Molekül vier H-Atome enthält. Zur Erzeugung von einem Kilogramm Wasserstoff werden nach Angaben der Firma 41 Kilowattstunden Strom benötigt. Dieses Verfahren sei energieeffizienter als die Elektrolyse, bei der das Wasser zuvor auch noch destilliert werden muss. In einem Kilogramm Wasserstoff ist dann eine Energiemenge von 33 Kilowattstunden gespeichert. Das entspricht ungefähr dreieinhalb Liter Benzin.

Die Umweltbilanz des Verfahrens hängt nun natürlich davon ab, aus welchen Quellen der Strom stammt, der für die Erzeugung des Wasserstoffs eingesetzt wird. Technisch sei die Anlage so flexibel, dass ihr Einsatz auf Zeiten beschränkt werden könne, in denen Strom aus erneuerbaren Energien im Überfluss vorhanden ist, erklärt Projektmanager Dünow.

Würde die Anlage dagegen Strom verbrauchen, wenn dieser gerade knapp ist, wäre das nicht besonders klimafreundlich. Denn damit würde die Energieerzeugung in fossil­befeuerten Kraftwerken zusätzlich angeheizt.

Graforce plant, den erzeugten Wasserstoff mit Biomethan zu mischen, um das Gas in ­klassischen Erdgasfahrzeugen einsetzen zu können. Firmengründer Jens Hanke sieht in dem „E-Gas“-Gemisch einen „maßgeblichen Beitrag für eine erfolgreiche Verkehrswende“. Sich „auf eine einzige Technologie wie derzeit den Elektroantrieb zu fokussieren“ sei „nicht zielführend“, meint Hanke. Manche bezeichnen die Mischung auch als HCNG, wobei das H für den Wasserstoff und das CNG für komprimiertes Erdgas (Compressed Natural Gas) steht.

Graforce geht davon aus, dass sich die Plasmalyse rechnet: In ihrer betriebswirtschaftlichen Kalkulation einer solchen Anlage sollen rund 80 Prozent der Erlöse aus dem Verkauf des Wasserstoffs erzielt werden, der Rest aus einer Vergütung der Reinigungsleistung durch die Kläranlage.

Die Berliner Wasserbetriebe, die finanziell an dem Projekt nicht beteiligt sind, hoffen auf den Beitrag des Verfahren zur Wasserreinigung. „Für uns ist die Reduktion des Ammoniums entscheidend“, sagt Unternehmenssprecher Stephan Natz. Wahrscheinlicher Standort der Pilotanlage ist das Klärwerk Schönerlinde.

Unabhängige Experten aus der Abwassertechnik, wie etwa die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall, tun sich allerdings noch schwer, die Chancen der Technik zu bewerten. Das gilt vor allem für die Wirtschaftlichkeit. Die wird in der Praxis auch davon abhängen, wie stabil der Prozess läuft. Denn praktikabel wäre die Plasmalyse nur, wenn sie vom Personal der Kläranlage überwacht und bedient werden kann. Ob das der Fall ist, soll die Pilotanlage in den nächsten Jahren zeigen.