Ulrich Schulte über die Kanzlerin in der Generaldebatte
: Merkels Vermächtnis

Man ertappt sich ja immer öfter bei dem Gedanken, dass man diese Frau noch vermissen wird. Was Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in ihrer Rede im Bundestag gesagt hat, hebt sich wohltuend ab von dem Stimmengewirr in ihrer Partei. Merkel warb leidenschaftlich für den UN-Migrationspakt und für internationale Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik. Diese Ansage aus dem Kanzleramt ist notwendig und wichtig.

Gelassen, fast beiläufig widerlegte Merkel Mythen, die durch die Debatte schwirren. Nein, Nationalstaaten können sich nicht abkoppeln vom Leid vor ihrer Haustür – das bekam Deutschland 2015 zu spüren. Ja, die Vereinten Nationen sind natürlich demokratisch legitimiert. Und nein, der Migrationspakt berührt die nationale Gesetzgebung nicht. Der Zwergenaufstand in der CDU gegen den Pakt hat etwas Regressives. Jens Spahn, der seine Felle im Rennen um den Parteivorsitz davonschwimmen sieht, ist sich offenbar für Verzweiflungstaten nicht zu schade.

Migration ist in der heutigen Welt ein Fakt. Sie lässt sich nicht wegwünschen, man muss mit ihr umgehen. Merkel hat das anders als alle reaktionären Träumer realisiert. Der Migrationspakt setzt ein paar Leitplanken der Menschlichkeit, die im Interesse aller Staaten sind. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Lebensbedingungen sollen zum Beispiel weltweit so verbessert werden, dass Menschen in ihrer Heimat bleiben können. Selbst die härtesten Merkel-Kritiker müssten das eigentlich unterschreiben, schon aus Eigeninteresse.

Merkel, deren Ära bald enden könnte, wirkt zusehends freier und mehr bei sich. Ihre Rede geriet über weite Strecken zu einem Plädoyer für Multilateralismus. Sie warb für internationale Verhandlungen, für schwierige Kompromisse, für ein Ja zu Komplexität. „Deutsches Interesse heißt, immer auch die anderen mitzudenken“, lautete ihr Schlüsselsatz.

Merkel geht es auch um ihr Vermächtnis, das war nicht zu überhören. Man muss hoffen, dass ihre potenziellen NachfolgerInnen an der CDU-Spitze gut zugehört haben.

inland