Warten auf die Flut

Getanzter Kulturpessimismus: Kat Válasturs künstlich-intelligent gefärbte Parallelwelt „Stellar Fauna“

Von Astrid Kaminski

Menschen waren sie noch nie. Die Figuren der Berliner Vorzeigechoreografin Kat Válastur sind Mischwesen aus Körpern, Materie und Atmosphäre, die über die Jahre Metamorphosen unterliegen. In ihrem ersten großen Zyklus „Oh Deep sea – Corpus I-III“ waren es blitzartig unter Wasser visualisierte Sirenen, die Odysseus nur darum verwirrten, weil ihr Körper selbst keinen festen Ort hatte.

Später schuf Kat Válastur alien­artige Comicfiguren, die wirkten, als seien sie per Spaceshuttle im Clubleben gelandet und würden es für das echte halten. Auch Priester*innen der Kunstszene gab es, die aus ihrem Konsumismus eine neue Religion entwickelten. Schließlich einen Androiden, der versuchte, sich in einem „Allround Internet der Dinge“-System einzurichten. Oder ein Pflanzenwesen, das als Nachtschattengewächs zwischen den Belichtungszeiten eines künstlichen Auges wucherte.

Auch ihre jüngste Arbeit, „Stellar Fauna“, zeigt Válastur wieder am HAU Hebbel am Ufer. Es ist die erste, die das HAU, das sich in Richtung eines Produktionshauses entwickeln möchte, selbst produziert hat. Dem Titel nach scheint Kat Válastur darin auf die Tierwelt gekommen zu sein. Weniger griffig ist das Wort „Stellar“. Es gibt ein Kryptowährungssystem gleichen Namens. Aber es könnte sich auch um ein Sternensystem für bewusstseinsfreie menschliche Tiere handeln, in dem zwei Tänzerinnen stranden.

Teil eins ist ein Filmscreening mit Poolszene: Wasser, Himmel, Lichtbrechungen und Strömungsbewegungen hinter starken Farbfiltern. Zwei angezogene Frauen beim Tauchen, von denen sich später herausstellt, dass sie jeweils zwei unterschiedlich farbige Augen haben. Für Teil zwei sitzt das schuhlose Publikum in der Mitte eines oval abgehängten, dämmrigen Raums (Installation: Leon Eixenberger). Rechts und links eine punktsymmetrische Anordnung: jeweils eine Art Milchglasmonolith mit einer halb verdeckt dahinter liegenden Tänzerin, daneben eine Lilie und ein Flaschenkürbis. Der Wasserfilter vor dem Deckenlicht deutet eine Welt unter dem Meeresspiegel an, das gebrochene Licht schaukelt durch die geheimnisangedickte Atmosphäre.

Als die Tänzerinnen hinter dem Monolith hervorkriechen, bewegen auch sie sich punktsymmetrisch, während aus den Boxen erst eine Hirschkuh brüllt, später das Schluchzen sowie ein paar zerhackte Memo-Sätze der Protagonistinnen rückgekoppelt werden, Motto: „Wir warten auf das Einsetzen der Flut, auch wenn das unser Ende wäre.“

Wenn sich hier aus der Beschreibung etwas Abstand zur Sache herausliest, dann stimmt der Eindruck. Enttäuschend ist „Stellar Fauna“, weil sich der Beschreibung außer weiterer Details (golden geschminkte Gesichter, Daumenhoch-Fingersprache- und Locking-Moves, eine kurze „Frühlingsopfer“-Einspielung etc.) nicht viel hinzufügen lässt. Die Anordnung ist symbolisch aufgeladen, ohne dass sich die Symbole erschließen, mehr noch: ohne Lust zu verströmen, sich erschließen zu lassen. Eine Lilie, die in eine Bodenritze gesteckt wird, ein Flaschenkürbis, der auf den Kopf gehalten wird, ein finaler Seitentausch der Protagonistinnen. Offensichtlich sind sie austauschbar, wahrscheinlich programmiert, und wahrscheinlich hatte das Programmdesign etwas schwache Referenzen – ein Verkündigungsbild und irgendwas mit Stammeskulturen beim Kürbiserntedankfest.

Wie schon die Vorgängerarbeit scheint „Stellar Fauna“ von KI-Kulturpessimismus gezeichnet. Aber geht es hier dar­um, den Kitschfaktor digital reproduzierter Artefakte und kulturhistorischer Referenzen zu kritisieren? Dann gilt: Die Kitschkritik bleibt im Kitsch stecken. Oder fehlt einfach nur ein bittersüßes Cocktail, um am Poolstrand entspannt dekadent mit auf die Flut zu warten?