Sauerampfer aus Sierra Leone

Wer eine Sawa-Sawa-Suppe mit Fufu kochen will, braucht Zeit, viel Zeit. Fast sechs Stunden dauert die Zubereitung, den Gang zum Markt nicht mitgerechnet – aber es lohnt sich

Das Umrühren des Fufu-Breis kostet viel Kraft. Essen ist zum Glück einfacher Fotos: Daniel Zylbersztajn

Aus Freetown Daniel Zylbersztajn

Das große Kochen beginnt mittags. Im King-Tom-Viertel von Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones, sitzt Ulrica Harding auf einem kleinen Hocker im Hof eines Großfami­lien­hauses – und zugleich in der Küche, denn die ist hier klassischerweise open air im Vorhof eingerichtet.

Die 40-Jährige ist Grundschullehrerin und Pfarrerin einer kleinen christlichen Gemeinde. Sie gehört der Ethnie der Kreos an, der stolzen Nachfahr*innen der aus Amerika nach Westafrika zurückgekehrten ehemaligen Sklav*innen. Identität und Kultur der Kreos ist eine Fusion westafrikanischer, karibischer, amerikanischer und europäischer Einflüsse, und das gilt auch für ihre Küche.

Ulrica ist die Cousine meiner Frau, wir sind auf Familienbesuch in Sierra Leone. In der Familie gilt Ulrica als beste Köchin, und beweisen will sie das mit einem besonderen Gericht, das normalerweise nur an Feiertagen zubereitet wird: eine Sawa-Sawa-Suppe mit Fufu.

Der Aluminiumtopf steht auf einer offenen Kochstelle in glühenden Kohlen. Um ­Ulrica verteilen sich bunte Plastikschüsseln und -behälter mit Zutaten und eine Tüte voll frischer grüner Blätter: Sawa-Sawa – ausgesprochen klingt das wie „sour sour“ –, die Blätter eines sierra-leonischen Sauerampfers. Ulrica wäscht sie und wirft sie ins kochende Wasser.

Nach nur drei Minuten sind die Blätter tief dunkelgrün, mit einem Sieb werden sie herausgeholt und mit kaltem Wasser ausgewaschen. Achtmal macht Ulrica das, „damit das Sawa-Sawa ein wenig was von seinem sauren Geschmack verliert“.

500–800 g Sawa-Sawa-Blätter. Alternativ: Spinat

600 g getrocknete Egusi-Samen. Alternativ: zerstampfte rohe Erdnüsse

4 EL Ogirie-Paste (fermentierte ­Sesam­samen)

400–500 g Rindfleisch

12 geräucherte Kohlfische

150–250 g Pfefferschoten, extrascharf

1 große Zwiebel

750 ml Palmöl

8 Brühwürfel

3–5 kg fermentierter Maniok

500–700 g Gari (getrocknete Maniokstärke)

Als Nächstes nimmt sie vier Becher getrocknete Egusi-Samen, die von Melonen, Flaschen- oder Bitterkürbissen stammen. 15 Minuten lang zerstampft sie die Samen mit einem Holzstößel und filtert sie mehrmals durch ein Sieb.

Immer wieder kommen Familienmitglieder zu Ulrica, um etwas zu helfen. Die Jüngste, eine eifrige Fünfjährige, bearbeitet einen weißen, dickflüssigen Saft. Es ist fermentierter Maniok, aus dem später die Sättigungsbeilage Fufu wird, eines der Grundnahrungsmittel der westafrikanischen ­Küche.

Eine weitere Cousine, elf Jahre alt, zerkleinert eine große Zwiebel und zupft von zwei Handvoll Pfefferschoten alle Früchte ab. Mit einem kleineren Holzstößel stampft sie beides so lange platt, bis es sich in eine bunte Paste von durchdringendem Geruch verwandelt hat. Ulrica wäscht unterdessen ein Dutzend geräucherte Kohlfische und rupft das weiße Fleisch von den Gräten.

„Es könnte auch jeder andere Fisch sein“, sagt sie. Beim Kochen in Sierra Leone ist Flexibilität eine Tugend. Gekocht wird je nach Angebot, das gilt auch für die nächste Zutat: das Fleisch. Kanda, rohe Rinderhaut, konnte Ulrica dieses Mal auf dem Markt ergattern. Sie reinigt die dicken Hautteile und schneidet sie in kleine Stückchen. Die Abfälle werden den Hühnern im Hof zugeworfen. Fliegen setzen sich auf die Fischreste und werden ihrerseits sofort von herbeieilenden Eidechsen mit ihren langen Zungen aufgelesen. Es scheint, als ob heute für alle hier, Mensch wie Tier, ein Festessen stattfindet.

Ulrica erhitzt den Egusibrei in einem Topf; als er kocht, kommen die Pfeffer-Zwiebel-Paste und vier Esslöffel Ogirie – ein fermentierter Sesamextrakt – hinzu. Dann gibt sie einen halben Liter Palmöl in den Topf und färbt damit den Inhalt blutrot.

Der mehlige Maniokbrei federt die säuerlich-süße und leicht scharfe Suppe ab, die Fischstücke geben zusätzlich eine geräucherte Note

Ulrica rührt nun ohne Pause um. Nach einer Viertelstunde gibt sie die Hälfte des Fischs sowie vier Brühwürfel hinzu. „Wir benutzen extra nicht Maggi, das ist ungesund“, sagt Ulrica über die beliebteste Brühwürfelmarke Westafrikas. „Lieber Knorr oder Walam, eine Marke aus Guinea.“

Mehrere kleine Kinder spielen inzwischen im Hof. Ulrica holt sich ein Brot aus dem Haus und macht kurz Pause. Danach gibt sie die Kandastücke in die Brühe, nach weiteren 15 Minuten den restlichen Fisch, Brühwürfel und einen Viertelliter Palmöl, und rührt schließlich die Sawa-Sawa-Blätter hinein. Zehn Minuten später kommt die jetzt grün-rote Mixtur vom Feuer. So ist die Sawa-Sawa-Suppe nach drei Stunden fertig.

Doch das Anstrengendste steht noch bevor: die Zubereitung des Fufus. Über dem Maniokbrei hat sich in der Zwischenzeit etwas Flüssigkeit abgesetzt, die Ulrica vorsichtig abgießt, dann erhitzt sie den Brei – und rührt, eine Viertelstunde lang. Doch obwohl das Fufu merkbar dicker wird, stimmt etwas nicht.

Nach einer kurzen Diskussion mit ihren Cousinen schickt Ulrica eines der jüngeren Familienmitglieder zu einem Marktstand um die Ecke, um Gari zu kaufen, eine Art fermentiertes Maniokmehl. Kaum im Topf, tut es seinen Dienst. Alles dickt ein, so sehr, dass Ulrica zum Umrühren die Hilfe eines Cousins benötigt. Der rührt die zähe Masse 20 Minuten lang weiter und muss dabei die ganze Kraft seiner Arme einsetzen. Das Resultat ist ein dicker, klebriger Stärkebrei – Fufu.

Um 17 Uhr können die ersten Familienmitglieder die Suppe probieren, indem sie den Fufu mit der Hand hineintunken. Der mehlig-neutrale Maniokbrei federt den säuerlich-süßen und leicht scharfen Geschmack der Suppe ab, die Fischstücke geben zusätzlich eine geräucherte Note. Schnell kommt ein Gefühl angenehmer Sättigung auf.

Bevor sie selber ausruhen und essen kann, säubert Ulrica erst alle Küchenutensilien – in der Open-Air-Küche würden sonst Insekten und Ratten angelockt. Selbst alte Blechdosen und Einmachgläser poliert ­Ulrica auf Hochglanz – sie sollen noch viele Jahre halten.

Fast sechs Stunden war Ulrica Harding schließlich am Werk, den Gang zum Markt nicht mitgerechnet. Der Aufwand zahlt sich aus, sagt sie. „Unsere Speisen haben eine höhere Qualität und sind vielen westlichen überlegen.“ Doch auch in Freetown ändern sich Geschmäcker. „Viele Leute in Freetown finden frittierte Hühner oder Burger mit Pommes aus teuren Restaurants eher etwas Besonderes als eine Sawa-Sawa-Suppe“, sagt Ulrica und seufzt. „Dabei soll Sawa-Sawa doch sogar Krebs vorbeugen!“