Markt erweist sich als höchst ungesund

Nach der Pleite zweier Krankenhäuser wird in den Niederlanden wieder über die Privatisierung im Gesundheitsbereich diskutiert

In der Praxis landen viele Notfälle beim nicht entsprechend ausgerüsteten Hausarzt

Aus Amsterdam Tobias Müller

Im niederländischen Gesundheitssektor brodelt es. Ende Oktober meldeten am selben Tag gleich zwei Krankenhäuser offiziell Insolvenz: die Ijsselmeer Ziekenhuizen, die vier Niederlassungen in der nordöstlichen Provinz Flevoland haben, sowie das Slotervaart-Krankenhaus im gleichnamigen Stadtteil in Amsterdam. Beide gehören dem Gesundheitskonzern MC Groep und hatten schon jahrelang mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Neben anderen Verbindlichkeiten in Millionenhöhe konnten auch die Oktober-Gehälter nicht mehr gezahlt werden.

Die MC Groep, die beide Kliniken unabhängig voneinander betrieb, galt bereits seit einem Jahr als faktisch ­bankrott. Zumindest im Fall Slotervaart waren die seitdem geführten Verhandlungen über einen Neustart oder eine Übernahme vergeblich. Vergangene Woche wurde deutlich, dass das Ende definitiv ist.

In Flevoland gibt es noch Hoffnung. Die Verhandlungen mit dem nahe gelegenen St.-Jansdaal-Krankenhaus aus Harderwijk sind weit fortgeschritten. In dieser Woche wird ein Ergebnis erwartet. Die Harderwijker Klinik ist der letzte verbliebene Übernahme-Kandidat.

Die Folgen der Insolvenzen sind erheblich – sowohl kurz- als auch längerfristig. Unmittelbar nach dem Bankrott wurde das Personal entlassen, wobei die günstige Arbeitsmarktsituation immerhin dafür sorgen dürfte, dass neue Anstellungen relativ einfach zu finden sind. Mehr als 200 stationäre Patienten mussten Hals über Kopf in andere Kliniken verlegt werden. Das größte Problem scheint die Versorgung der ambulanten Patienten darzustellen, die zur Behandlung auf die Krankenhäuser angewiesen waren: Allein in der Slotervaart-Klinik geht es um 17.000 bis 20.000 Personen, für die allein im Monat nach dem Bankrott 30.000 Behandlungstermine anstanden. Was mit diesen wird, ist bislang nicht geklärt.

Die Zeitung Volkskrant zitiert Stella Zonneveld, die Sprecherin der Amsterdamer Hausärzte, wie folgt: „Vereinbart wurde, dass die Pflege anderen Spezialisten übertragen wurde. Aber in der Praxis landen sehr viele Patienten beim Hausarzt.“ Dieser aber wisse oft nicht genau, welche Chemotherapie etwa ein Patient brauche. Trotzdem verwiesen die Krankenversicherungsunternehmen ratlose Patienten am Telefon an den nächsten Allgemeinmediziner oder an ein Krankenhaus, das nicht mehr existiert.

Der Unmut ist entsprechend groß. Kurz nach dem Bankrott-Entscheid demonstrierten gut 500 Menschen in Amsterdam gegen das Aus des Krankenhauses, das ursprünglich im kommunalen Besitz war.

Auch das Parlament in Den Haag debattierte über die Schließungen. Sechs Oppositionsparteien sprachen Bruno Bruins, dem Minister für Gesundheitsversorgung, ihr Misstrauen aus – Bruins habe zu wenig getan, um den Bankrott zu verhindern. Folgen hatte das nicht. Der Minister, der der liberalen VVD von Premier Mark Rutte angehört, erklärte, das Kabinett sei dafür nicht zuständig.

Tatsächlich ist das niederländische Gesundheitswesen seit 2006 größtenteils privatisiert. Zwar hat jeder Bürger einen Anspruch darauf, innerhalb von 45 Minuten eine Klinik erreichen zu können. Um diese Vorgabe einzuhalten, gibt es eine Liste von 22 systemrelevanten Krankenhäusern, die auf jeden Fall weiterbetrieben werden müssen – auch wenn dafür der Staat eingreifen muss. Experten glauben, dass inzwischen jede vierte Klinik Probleme hat, sich über Wasser zu halten.

Bei den Niederlassungen des Ijsselmeer-Krankenhauses sind strukturelle Folgen kaum vermeidbar. Denn sie liegen in einem relativ dünn besiedelten Polder. Sollten sie geschlossen bleiben, würde die medizinische Versorgung der Bewohner erheblich erschwert.

Ina Adema, die Bürgermeisterin der betroffenen Provinzhauptstadt Lelystad, forderte die Krankenversicherer auf, nach Lösungen zu suchen. Beide Krankenhäuser wurden vor allem über den Marktführer Zilveren Kruis finanziert.