Automatisierung im Alltag: Rettet Künstliche Intelligenz die Welt?

Die Bundesregierung hat sich zur Künstlichen Intelligenz viel vorgenommen. Nun startet der Digitalgipfel.

KI-Arbeit an einem Auto

Künstliche Intelligenz könnte zum Beispiel die Autoproduktion verändern Foto: dpa

Schluss mit der Angst, dem Zaudern und Zögern: Die Bundesregierung will beim Thema künstliche Intelligenz (KI) nicht länger belächelt werden. Nach monatelangen Debatten und Expertengesprächen, nachdem etliche Gremien im Kanzleramt, in den Ministerien und im Parlament vor sich hin bastelten, soll eine gemeinsame KI-Strategie das Land voranbringen.

Bis 2025 stehen rund drei Milliarden Euro zusätzlich bereit, um Deutschland zum „führenden Standort“ für die Zukunftstechnologie zu machen. Mächtig stolz sind Kanzlerin Angela Merkel und ihr Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf das Papier. Das Geld wird vor allem in die Forschung fließen. Hundert neue KI-Professuren sollen laut Bundesregierung geschaffen werden. Dazu kommt eine Förderungsoffensive für Start-ups, die mit KI arbeiten.

Die Hoffnung ist, die Konkurrenz in den USA oder China abzuhängen oder mindestens in deren Liga mitzuspielen. Wirtschaftsminister Altmaier geht gar davon aus, dass die Digitalisierung in Deutschland für ein zusätzliches volkswirtschaftliches Wachstum von rund 1,3 Prozent sorgen könnte. Das sei mehr als bei der Erfindung der Dampfmaschine, sagt er. Ganz zu schweigen von den Millionen Arbeitsplätzen, die Anwendungen über Künstliche Intelligenz bringen könnten. Solche Aussagen sollen wohl auch die besänftigen, die wissen, dass durch die Automatisierung in nahezu allen Branchen Jobs wegfallen werden.

Beim heute startenden Digitalgipfel in Nürnberg mischt sich Werkschau des KI-Standorts Deutschland mit Diskussionen über die Zukunft. Künstliche Intelligenz ist in Deutschland noch ein unsichtbares Phänomen, ein Schlagwort, unter dem sich viele nichts Konkretes vorstellen können. Groß sind die Vorbehalte und Ängste. Doch zum Einsatz kommt Künstliche Intelligenz auch hierzulande längst. Revolutioniert sie unser Leben oder macht es gar besser als je zuvor? Fünf Expert*innen geben Antworten:

1. „Arbeit besser, menschlicher machen“

„Die deutsche Debatte über Künstliche Intelligenz ist geprägt von Szenarien, die die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust bedienen. Werde ich überflüssig? Werde ich überwacht? Technologisierung bringt Veränderungen mit sich, ermöglicht aber auch zahlreiche Chancen, um Arbeit besser und menschlicher zu machen.

In der Globalisierung ist es wichtig, dass wir unsere Ressourcen und Ideen zum Thema Arbeit einbringen: Sozialpartnerschaft, die Abgrenzung zwischen Arbeit und Leben, Arbeitnehmerrechte. Dabei können Algorithmen hilfreich sein. KI könnte potentiell Betriebsrätinnen in ihrer Arbeit unterstützen.

Chatbots könnten Stimmungsbilder im Betrieb einholen und Angestellte über ihre Rechte aufklären. Das ersetzt nicht den Betriebsrat, sondern unterstützt ihn. Es ist auch vorstellbar, dass Arbeitnehmerinnen im Kontakt mit KI ihre Work-Life-Balance besser im Blick behalten. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Programm, das mich anspricht, wenn ich Überstunden mache, und mich daran erinnert, mich nicht zu übernehmen? Es gibt im Bereich Arbeit viele Ängste, wenn über Digitalisierung gesprochen wird. Technologie-Determinismus ist eine sehr alte und widerlegte Perspektive.

Technologie bestimmt nicht unser Handeln allein, sondern wir gestalten in einer Wechselbeziehung Technologie mindestens genauso. Gemeinsam haben wir die Möglichkeit, den Handlungsraum zu erkunden und KI-Anwendungen so zu gestalten, dass sie uns helfen.“

Shirley Ogolla, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin

2. „Die besten Wege per App zeigen“

„Weltretten im Bereich Verkehr heißt vor allem: Klimaschutz. Wir müssen den öffentlichen Nahverkehr attraktiver machen und den eigenen CO2-Verursacher unattraktiv.

Daher helfen hier ganz kleine Schritte: Die eine, umfassende App, die Nutzern endlich den besten Weg von A nach B zeigt und dabei Fahrrad, Bahn und Bus im Nah- und Fernverkehr und Carsharing berücksichtigt. Leuchtdioden am Bahnsteig, die anzeigen, ob ein Wagen schon voll besetzt ist und wo noch welche Plätze frei sind. Autonome Fahrzeuge auf dem Land, die von Dorf zu Dorf fahren und Leute zum nächsten Bahnhof bringen. Lieferketten, die so intelligent gestaltet sind, dass nicht lauter CO2 emittierende Lkws in zweiter Spur halten, um ein paar mit dem 24-Stunden-Expressdienst bestellte Pullover innerhalb weniger Stunden auszuliefern.

KI wird wohl längst nicht alles in all diesen Bereichen lösen – ein Lastenrad ohne KI ist besser als ein mit Kraftstoff betriebener Lkwit KI. Aber wenn es gut läuft, kann sie ihren Teil dazu beitragen.“

Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD)

3. „KI kann mehr Teilhabe ermöglichen.“

„KI kann die Welt mindestens ein bisschen komfortabler machen und für manche sogar ein bisschen erträglicher. Zum Beispiel kann sie für mehr gesellschaftliche Teilhabe sorgen. In den USA arbeitete ich vor Jahren für eine Firma, die Spracherkennungssoftware entwickelt. Eine Künstliche Intelligenz hilft etwa dabei, Straßennamen zu erkennen, an welcher Kreuzung man abbiegen muss oder welches der beste barrierefreie Weg zum Ziel ist.

Oder KI hilft bei der Übersetzung von wissenschaftlichen ­Texten, die zum Beispiel nur auf Russisch oder in einer anderen Sprache erscheinen, die andere nicht sprechen. Ein Computer kann schnell übersetzen, und somit können mehr Wissenschaftler die ­Inhalte für ihre Forschung nutzen.

Generell hat sich unsere Sprache durch das Internet und die Digitalisierung stark verändert. Neue Worte sind entstanden, zum Beispiel nutzen wir Voten für Abstimmen oder die Begriffe Clickbaiting oder Buzzfeeding. Grammatik und Rechtschreibung werden ohnehin anders genutzt, etwa bei digitalen Nachrichtendiensten.

Die Daten, die wir dazu vorliegen haben, sollten wir unbedingt sammeln, damit wir den Sprachwandel dokumentieren und analysieren können.“

Erhard Hinrichs, Sprachwissenschaftler und Computerlinguist an der Universität Tübingen

4. „Konsummacht besser einschätzen.“

„Im Bankensektor gibt es hier und da schon KI-Unterstützung, das ist aber noch lange nicht die Regel. Algorithmen können zum Beispiel bei Kreditbewertungen helfen und Investitionsrisiken abschätzen. Chatbots im Kundenkontakt können derweil Mitarbeiter entlasten. Wir bei der GLS Bank arbeiten allerdings bisher nicht mit solchen Systemen.

Wo KI-Systeme jetzt schon besser sind als Menschen, ist beim Erkennen von Betrugsversuchen. Algorithmen lernen aus bestimmten Maschen und warnen die Kunden, wenn sich so ein Muster wiederholt.

Was ich einer KI nicht zutraue, ist, dass sie Innovationen erkennt. Viele KIs basieren auf Erfahrungsdaten aus der Vergangenheit.1988 hätte uns eine KI wahrscheinlich nicht empfohlen, eines der ersten Windräder zu finanzieren.

Woran wir jetzt arbeiten: Algorithmen, die unseren Kunden dabei helfen, ihre eigene Konsummacht besser einzuschätzen – sofern sie das möchten. Was unterstütze ich da mit meiner Kaufentscheidung? Wo sollte ich lieber investieren?

Nach Ereignissen wie im Hambacher Wald könnten zum Beispiel automatisch Ökostromanbieter empfohlen werden. Dabei können uns KI-Systeme helfen. Aber die ethischen Urteile fällen und handeln – das müssen wir immer noch selber.“

Aysel Osmanoglu, IT-Vorständin GLS Bank

5. „Das ist kein Zaubergadget“

„Eine KI muss sich an geltende Gesetze halten – und das heißt ganz klar: die Datenschutzgrundverordnung. Die Entscheidungen einer KI können schwerwiegende Folgen für einzelne Menschen haben. Etwa wenn sie die Vorauswahl von Job-Bewerberinnen entscheidet oder per Sozialprognosen für Straftäter, wer auf Bewährung freikommt und wer nicht.

Natürlich müssen Betroffene darüber informiert werden, dass eine KI entschieden hat und wie die Entscheidung zustande gekommen ist. Und wenn Vorgaben wie sichere und vertrauliche Speicherung oder das Verbot, die Daten für andere Zwecke zu verwenden nicht eingehalten, ist eine KI illegal.

Dazu kommt: KI darf keine Blackbox sein. Das ist aber heute schon teilweise der Fall, etwa beim autonomen Fahren. Da können selbst die Programmierer nicht mehr nachvollziehen, was der Algorithmus da eigentlich macht. Dabei ist es durchaus möglich, so zu programmieren, dass Menschen nachvollziehen können, welche Kriterien eine Rolle spielen und warum Entscheidungen so getroffen werden.

Und wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte, wo wir KI sehen wollen – und in welchen Bereichen nicht. Da müssen sich alle stärker einmischen, damit der Einsatz nicht dazu führt, dass Firmen und Staat noch mehr unkontrollierte Macht über uns bekommen.

KI ist kein Zauber-Gadget, das – Simsalabim – die Welt besser macht. Aber ohne diese Voraussetzungen wird sie nicht einmal einen kleinen Teil dazu beitragen können.“

Rena Tangens, Datenschutzverein Digitalcourage

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