Ein „Exit vom Brexit“ wird nur scheinbar ein wenig einfacher

Generalanwalt des EuGH sagt: Großbritannien könnte den Austritt aus der EU wieder absagen. Dies befeuert Brexit-Gegner pünktlich zum Beginn der Brexit-Ratifizierungsdebatte im Parlament. Zu Recht?

Geändert werden kann der Austritts-termin 29. März 2019 nur durch ein neues Gesetz

Von Dominic Johnson

Großbritannien braucht nicht die Zustimmung aller 27 anderen EU-Mitglieder, um seine Einleitung des EU-Austritts wieder rückgängig zu machen. Zu diesem Schluss kommt der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in seinem nicht bindenden Gutachten für das Gericht. Da Artikel 50 der EU-Verträge, mit dem ein Mitglied die Intention zum Verlassen der EU kundtut, unilateral aktiviert wird, kann diese Aktivierung auch unilateral wieder zurückgezogen werden, so Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona in seiner schriftlichen Stellungnahme.

Die Gutachten des Generalanwalts werden meistens, aber nicht immer, vom EuGH übernommen. Der EuGH verhandelt derzeit die Anfrage eines schottischen Gerichts, ob der Brexit noch vor dem Austrittstermin 29. März 2019 abgesagt werden könnte, wenn die Briten das wollten – ein zentraler Baustein der Kampagne für eine zweite Brexit-Volksabstimmung.

Wann der EuGH das Urteil fällt, steht noch nicht fest, aber das Gutachten des Generalanwalts befeuert die Brexit-Debatte pünktlich zum Beginn der Marathonsitzung des Unterhauses am Dienstag über das Brexit-Abkommen, auf das sich Großbritannien und die EU im November geeinigt haben. Alle Beobachter gehen davon aus, dass dieses Abkommen im Unterhaus bei der für den 11. Dezember angesetzten Abstimmung durchfällt. Völlig offen ist, wie es danach weitergeht: ein freiwilliger oder erzwungener Sturz von Premierministerin Theresa May erscheint genauso möglich wie ein ausgedehntes Patt, das in einen Brexit ganz ohne Vereinbarung mündet.

Zu Beginn der Debatten am Dienstag wurde darüber gestritten, ob das Parlament die Regierung zur Veröffentlichung ihrer eigenen – angeblich negativen – juristischen Prüfung des Abkommens zwingen kann, und ob bei einem Scheitern des Abkommens das Parlament der Regierung das weitere Vorgehen vorschreiben kann oder nur über Vorschläge der Regierung abstimmen darf.

Die Option, den Brexit in letzter Minute einfach abzusagen, wird durch ein EuGH-Urteil im Sinne des Generalanwalts aber nur scheinbar einfacher. Denn das Brexit-Gesetz, das das britische Parlament im Sommer verabschiedete, schreibt den 29. März 2019 als Austrittstermin fest. Geändert werden kann dies nur durch ein neues Gesetz. Dies wiederum kann nur die Regierung einbringen.

Da May dies ausgeschlossen hat, müsste also erst eine neue Regierung her, die den Brexit kippen will. Das ist, wenn überhaupt, nur nach Neuwahlen, eventuell zusätzlich zu einer neuen Volksabstimmung, denkbar. Und für all das ist die Zeit bis März zu knapp.

Alternativ könnte die Regierung May bei einem parlamentarischen Scheitern des Brexit-Abkommens eine Verlängerung der Austrittsfrist bei der EU beantragen, um neu zu verhandeln. Dies aber will die EU nicht, und eine Verlängerung bedarf der Zustimmung aller anderen EU-Mitglieder. Sie dürfte zudem die Option einer späteren Rücknahme des Brexit ausschließen.