Mehr Wolf, weniger Vogel

Artenschutz in Schleswig-Holstein: Die Wölfe haben sich wieder etabliert – zum Ärger von Landwirten und Jägern. Viele andere Tierarten drohen dagegen zu verschwinden

Angst vorm großen bösen Wolf: Demonstration in Kiel Foto: Frank Molter/dpa

Von Esther
Geißlinger

Jäger in Loden, Bäuerinnen, die Plakate schwenkten, ein Schäfer mit Hütehund, eine Blaskapelle – eine ungewöhnliche Demo-Truppe versammelte sich am Mittwoch vor dem Kieler Landtag. „Weide statt Wolf“ hieß das Motto, unter dem der Bauernverband, der Landesverband Schleswig-Holsteinischer Schafzüchter, der Landesjagdverband, Landfrauen und Waldbesitzerverband ihre Mitglieder zum Protest eingeladen hatten. Eine der Forderungen: Wölfe sollten leichter bejagt werden können.

Mit dem Hinweis auf Artenschutz erntete Umwelt- und Landwirtschaftsminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) in dieser Runde Buh-Rufe. Dabei gehört die Rückkehr der Wölfe zu den Erfolgen des Natur- und Artenschutzes. Wie schlecht es insgesamt um die Vielfalt an Flora und Fauna steht, berichtete der Minister später in einer Pressekonferenz.

Rund 100 Tage ist Albrecht im Amt. Der ehemalige Europaabgeordnete trat die Nachfolge des Grünen-Bundesvorsitzenden Robert Habeck an. Das Thema Wölfe habe ihn seither häufig beschäftigt, sagte Albrecht. „Ich nehme Ihre Sorge ernst, ich höre mir alle Vorschläge an“, versprach er – die angereisten LandwirtInnen und JägerInnen blieben skeptisch.

Vorher hatte Wolfgang Hinz vom Landesjagdverband treuherzig für mehr Abschüsse geworben, „im Interesse des Wolfes“. Denn der würde nur akzeptiert werden, „wenn er sich verhält wie ein Wolf, nämlich scheu und wild und fern von den Menschen“. Und Bauernpräsident Werner Schwarz malte ein Szenario aus: „Wenn sich in einigen Jahren Rudel fest angesiedelt haben, gehen die dann vielleicht auch auf langsame Zweibeiner los?“ Es gehe um den „morgendlichen Jogger, die Kinder, die mit Rad zur Bushaltestelle fahren“.

„Es gibt keinen Grund zur Panik“, versicherte Albrecht. Er verwies auf die Schutzbestimmungen: „Sie werden die EU-Richtlinien kurz- und mittelfristig nicht ändern.“ Das Land hilft Landwirten mit Entschädigungen, wenn Tiere von Wölfen angegriffen werden. Zudem soll es auf Bundesebene klare Richtlinien geben, wann ein Wolf als so gefährlich gilt, dass er getötet werden darf. „Wir setzen diese Richtlinien bereits jetzt um“, versicherte Albrecht.

Den Anwesenden reichte das nicht: „Naturschützer sind wie Pippi Langstrumpf und machen sich die Welt, wie es ihnen gefällt“, rief ein Schafhalter aus Nordfriesland. „Wer hat denn Vögeln wie dem Austernfischer ihren Lebensraum genommen?“ Auf diese rhetorische Frage gab es wenig später, drinnen im Umweltministerium, eine konkrete Antwort: Es war die Landwirtschaft. Wo Böden intensiv bebaut, Grünflächen gemäht und umbrochen werden, hat die Artenvielfalt wenig Chancen.

„Die Tendenz zeigt, dass der Rückgang der Arten ungebrochen weitergeht“, fasst der Umweltminister den aktuellen „Bericht zur biologischen Vielfalt“ zusammen. Wie dramatisch es ist, zeigen die Zahlen (siehe Kasten). Ein besonderes Augenmerk des Landes gilt den Vögeln an der Küste.

Wildkaninchen kommen landesweit vor, sind aber gefährdet. Gemessen an der Zahl der erlegten Tiere hat sich der Bestand von 1997 bis 2017 mehr als halbiert.

Knapp über 900 Brutpaare der Austernfischer wurden 1998 in ausgewählten Flächen gezählt; 2018 brüteten nur noch knapp über 400 Paare in diesen Gebieten.

Auch bei Silber- und Heringsmöwen gibt es Rückgänge. Gute Bruterfolge verzeichnet der Bericht bei Kormoranen und Löfflern.

Wildschweine werden zurzeit stark bejagt, 19.000 Tiere töteten die JägerInnen in 2017/18. Damit soll verhindert werden, dass sich die Afrikanische Schweinepest im Land verbreitet. Die Krankheit grassiert in mehreren europäischen Ländern. Größter Überträger der Keime ist der Mensch. Die Keime kleben an Autoreifen, stecken in Fracht oder in mitgebrachten Lebensmitteln.

Laut dem Bericht haben in den vergangenen Jahren von 26 Küstenvogelarten zwei zu- und sechs „signifikant abgenommen“, bei weiteren fehlen genaue Zahlen. Eine Kolonie von Flussseeschwalben im Neufelder Koog, die seit den 90er-Jahren besteht und 2005 mit 2.000 Brutpaaren die größte in Europa war, ist nun wieder auf rund 1.000 Paare geschrumpft.

„Wir sehen auch Erfolge“, sagte Albrecht. Dafür sei aber ein „erheblicher Aufwand“ notwendig. Unter anderem sind die Salzwiesen gewachsen. Bewährt hat sich auch der Vertragsnaturschutz. Bei diesem Modell erhalten LandwirtInnen Geld vom Land, sofern sie Flächen brach liegenlassen, wenn dort seltene Vögel brüten. Dafür gibt das Land mit Hilfe der EU und des Bundes rund 14 Millionen Euro pro Jahr aus. Ähnlich viel Geld erhalten Ökobetriebe.

Als neues Thema steht Insektenschutz auf der Agenda. Die Maßnahmen sind so kleinteilig wie die Tiere, die es zu schützen gilt: So wird unter dem Motto „Schleswig-Holstein blüht auf“ Saatgut an Gemeinden oder Firmen verteilt. Auch der Pestizideinsatz soll geringer werden. Unter anderem „durch bessere Beratung der Landwirte“, so der Minister. Dass die nicht unbedingt auf ihn hören, hatte er am Morgen feststellen können.

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