Pakt der vielen

Mit der Annahme des Migrationspakts sendet die Staatengemeinschaft auf dem UN-Gipfel in Marrakesch ein starkes gemeinsames Signal aus. Jedoch wird die nationale Souveränität der Länder immer wieder betont

Auch ihre Flucht gilt es zu regeln: Zwei ­Männer aus der Sub-Sahara in Casablanca Foto: Mosa‘ab Elshamy/dpa

Aus Marrakesch Christian Jakob

Er hätte das Große betonen können, hervorheben, welch ungewöhnliche Einigkeit die Staatengemeinschaft hier zuwege gebracht hatte. Aber als Chabel Raji, der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, am Montag im Konferenzzentrum von Marrakesch vor die internationale Presse trat, hatte er vor allem eine beschwichtigende Botschaft. Der wenige Minuten zuvor im Nachbarzelt angenommene „Globale Pakt für sichere, geordnete und geregelte Migration“ „respektiert die nationale Souveränität“, das versicherte Raji als Allererstes. Die Zweifel, die genau daran gezielt gesät worden waren, hatten offenbar Wirkung gezeigt. „Was für das eine Land gut ist, ist nicht automatisch auch für das andere gut“, sagte Raji. Erst dann kam Raji auf die Kraft des Multilateralismus zu sprechen und erinnerte daran, dass internationale Kooperation der einzige Weg sei, um die Herausforderungen der Migration zu meistern.

Am Morgen hatte die UNO den Pakt akklamiert, ihn formell ohne schriftliche Unterzeichnung angenommen. Unter Vorsitz des marokkanischen Außenministers Nasser Bourita spendeten die Delegierten minutenlangen Beifall. Der Pakt verpflichte dazu, die „Interessen von Staaten und die Rechte von MigrantInnen miteinander in Einklang zu bringen“, sagte Bourita.

Gar nicht erst angereist waren die Neinsager: Österreich, Australien, Tschechien, die Dominikanische Republik, Ungarn, Lettland, Polen, Slowakei, die USA sowie Chile. Nach monatelangen, internationalen Kampagnen rechter Gruppen hatten viele dieser Staaten ihre bereits angekündigte Zustimmung zurückgezogen. Erst am Wochenende war Belgiens Regierung an der Frage der Zustimmung zum Pakt zerbrochen. Unentschieden sind weiterhin Bulgarien, Estland, Italien, Israel, Slowenien sowie die Schweiz. Vor allem an diese Staaten dürfte sich Rajis Beschwichtigung gerichtet haben. Bis zur UN-Generalversammlung im kommenden Jahr können sie es sich noch anders überlegen.

UN-Generalsekretär António Guterres wies darauf hin, dass seit Beginn des Jahrtausends über 60.000 MigrantInnen und Flüchtlinge auf ihrem Weg gestorben sind. Das sei „ein Quell der Scham für uns alle“, sagte Guterres. Er erinnerte daran, dass heute Migration vor allem innerhalb des globalen Südens verlaufe, die Industriestaaten aber immer stärker auf Zuwanderung angewiesen seien. „Wo die Geburtenrate sinkt und die Lebenserwartung steigt, wird Wirtschaft stagnieren und Bevölkerung leiden, wenn es keine Zuwanderung gibt.“

Ziel 17: Weniger Mittel für diskriminierende Medien

Eingestellt werden soll die öffentliche Finanzierung oder materielle Unterstützung von Medien, die systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern.

Ziel 18: Anerkennung von Jobqualifikationen

Erarbeitet werden sollen in Kooperation mit den jeweiligen Indus­trien Standards und Leitlinien für die gegenseitige Anerkennung ausländischer Qualifikationsabschlüsse und nicht formal erworbener Fertigkeiten in verschiedenen Sektoren.

Ziel 20: Bargeldtransfer

Erstellt werden soll ein Fahrplan, um die Transaktionskosten für Rücküberweisungen von Migranten auf weniger als 3 Prozent bis 2030 zu senken.

Ziel 22: Renten- und Sozialversicherungen

Geschaffen werden sollen Regelungen für die Übertragbarkeit der Sozialversicherungs- und erworbenen Leistungsansprüche von Arbeitsmigranten wie Renten oder Gesundheitsversorgung.

Ziel 23: Schutz vor Menschenhandel

Eingedämmt werden sollen die irreguläre Migration und ihre negativen Wirkungen auf alle Beteiligten durch das Ausstellen von fälschungssicheren Pässen, die Bekämpfung des Menschenschmuggels durch eine bessere Zusammenarbeit der Staaten bei Grenzkontrollen und bei der Rückübernahme und Reintegration von Migrantinnen und Migranten, die das Aufnahmeland wieder verlassen müssen. (taz)

Juan Carlos Rodriguez, der Präsident von Panama, sagte, er erhoffe sich von dem Pakt wirksamere internationale Bemühungen gegen die Ursachen, die Menschen aus ihre Ländern, etwa in Südamerika, vertreiben. Äthiopiens UN-Botschafter Negash Botoral lobte, dass der Pakt auch regionale Migration als wichtiges Mittel stärke, mit dem die armen Länder die UN-Entwicklungsziele erreichen können.

Insgesamt waren zwar 164 Staaten vertreten, aber nur 18 Staatschefs und -chefinnen vor Ort. Eine von ihnen war Angela Merkel – ein Signal, das in Marrakesch dankbar aufgenommen wurde, gilt Merkel doch international immer noch als Flüchtlingskanzlerin.

Es sei richtig, dass sich die UNO am 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Migration annehme, sagte Merkel. Sie erinnerte daran, dass MigrantInnen oft „ausgesprochen unfairen Bedingungen“ ausgesetzt seien. Migration aber sei „ganz natürlich“, die Freizügigkeit Teil des europäischen Binnenmarktes. „Und das schafft unseren Wohlstand“, sagte Merkel. Sie erinnerte an das Leid, das der „pure Nationalismus“ in Deutschland über die Welt gebracht habe, und daran, dass die Gründung der UNO die Antwort auf dieses Leid gewesen sei. Deutschland werde sich deshalb „eng einbringen“, um den Pakt umzusetzen. Weite Teile ihrer Rede widmete Merkel dem Umstand, dass der Pakt auch dazu gedacht ist, Schlepperei zu bekämpfen, sie verwies unter anderem auf die Verwicklung von Schlepperbanden mit der organisierten Kriminalität. Der Pakt sei ein „Bekenntnis zum Grenzschutz“.

Der Pakt verpflichte, die „Interessen von Staaten und Rechte von MigrantInnen in Einklang zu bringen“

Nasser Bourita, Außenminister

Tatsächlich hatte Illir Meta, der Präsident Albaniens, in seiner Rede kurz vor Merkel betont, dass sein Land gerade erst ein Abkommen mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex geschlossen hatte, laut dem künftig EU-Grenzschützer auch in Albanien aktiv werden können.

„Eine Rede für die deutsche Innenpolitik“, sagt Stefan Rother von der Universität Freiburg, der als Zivilgesellschafts-Delegierter an der Konferenz teilgenommen hatte, zu Merkels Rede. Ihn verwundert, dass die Kampagnen gegen den Pakt so wirkungsvoll sein konnten. „Der Pakt schafft kein einziges Extra-Recht für Migranten“, sagt er. Er bekräftige lediglich, dass die bestehenden Grundrechte eben auch für MigrantInnen gelten. Alle internationalen Verträge zu den Grundrechten seien aber längst auch von den Staaten ratifiziert worden, die nun den Pakt so wortreich abgelehnt hätten – ein „Theater“, sagt Rother.

Noch während die Debatte um den Pakt lief, hatten seit Anfang Dezember in Marrakesch Hunderte zivilgesellschaftliche Gruppen die Umsetzung des Paktes beraten. Eines der Modelle dazu: sogenannte Global Skills Partnerships. Die Idee: Wenn ausgebildete Fachkräfte aus einem armen Land abgeworben werden, soll das Land, in das sie ziehen, im Gegenzug die Ausbildung einer neuen Fachkraft im Herkunftsland bezahlen. Deutschland etwa wird mit seinem „Triple Win“-Projekt, der Vermittlung von qualifiziertem Pflegepersonal aus dem Ausland, bis 2019 allein 2.000 Pflegekräfte auf den Philippinen abgeworben haben. Herbert Beck sitzt für Verdi im Kontrollgremium für das Projekt und hat in Marrakesch darüber diskutiert, wie eine solche Kompensation aussehen könnte. Das Ganze dürfe jedenfalls nicht darauf hinauslaufen, dass am Ende die öffentliche Hand für die Ausbildung des privaten Sektors bezahle, sagt Beck. „Sinn macht das nur, wenn die Ausbildung nicht bloß auf die Bedürfnisse der Industriestaaten ausgerichtet ist.“