Metal und Meereskunde

The Ocean, eine hierzulande viel zu wenig wahrgenommene Berliner Band, hat mit „Phanerozoic I: Palaeozoic“ ihr neues Album herausgebracht. Kommenden Sonntag ist die Band live zu sehen

Von Jens Uthoff

So einiges kommt einem allzu gegenwärtig vor, was Robin Staps, Kopf der Band The Ocean, in dem Song „Permian: The Great Dying“ singt: Das sich erwärmende Klima („The air is getting hot and dry“), steigende Meerespiegel („Sea level rise“), das Artensterben („It’s the beginning of the Great Dying“). Zwar handelt das Stück vom großen Massensterben vor rund 250 Millionen Jahren, also lange bevor der Mensch sein Unwesen trieb – aber die Parallele zu heute ist evident.

„Permian: The Great Dying“ ist der abschließende Track des neuen Albums von The Ocean – und eines seiner Schlüsselstücke. Bei The Ocean handelt es sich um eine hierzulande viel zu wenig wahrgenommene Berliner Band, die sich 2001 als Kollektiv gründete und mit ihrer Mischung aus Black Metal, Prog­rock und Hardcore zu den Innovatoren des Metal zählt (weshalb man sie häufig als „Post-Metal“ labelt). Bislang hat die Gruppe neun Alben veröffentlicht, „Phanerozoic I: Palaeozoic“, das jüngste, erschien Anfang November. Kommenden Sonntag nun bietet sich die Gelegenheit, die Band live zu sehen.

Ein Faible für Geologie und Meereskunde – naheliegend bei dem Bandnamen – hatte Songwriter Robin Staps dabei schon lange. So widmeten sich frühere Alben dem Erdzeitalter des Präkambriums („Precambrian“, 2007) oder den unterschiedlichen Meeresschichten („Pelagial“, 2013). Das neue Werk allerdings setzt sich dezidiert mit dem Klimawandel und dessen Leugnern auseinander, zur Parallele zwischen dem „Great Dying“ und der heutigen Zeit sagt Steps: „Die Gründe für die globale Erwärmung während der Zeit des ‚Great Dying‘ waren nicht menschengemacht, aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der gegenwärtige, vom Menschen hervorgerufene Klimawandel nicht ähnliche Auswirkungen haben könnte.“

Die Alben von The Ocean, die sich auch zuvor schon als Pamphlete wider das anthropozentrische Weltbild lesen ließen, sind nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch hochspannend. „Phanerozoic I: Palaeozoic“ beginnt etwa mit einem unheimlich klingenden Piano-Präludium, das sich dann im epischen Power-Prog-Stück „Cambrian II: Eternal Recurrence“ entlädt. Musikalisch erinnert das an die US-Band The Mars Volta (bzw. deren Vorbilder), inhaltlich schließt sich mit dieser Referenz an Nietzsches Ewiger Wiederkehr des Gleichen („eternal recurrence“) der Kreis. Denn Staps bezieht diesen Gedanken des Philosophen auf die Erdgeschichte, auf das Aussterben und Sichneubilden.

Hervorzuheben sind bei den sieben Stücken – das längste ist 11:30 Minuten lang – insbesondere die Synthesizer von Peter Voigtmann, die dem gesamten Album eine Progoper-Anmutung verleihen. Die Arrangements der Stück sind entsprechend komplex und ­vielschichtig. So könnten an „Phanerozoic I: Palaeozoic“ nicht nur Metalfans gefallen finden, sondern etwa auch Anhänger von Pink Floyd oder frühen Genesis.

Ebenfalls beeindruckend ist der variable Gesang, für den Loïc Rossetti verantwortlich zeichnet. Mal klingt das im Black Metal übliche Gebrülle an, dann wieder hört man cleanen, harmonischen Gesang. Nicht unterschlagen werden soll an dieser Stelle, dass auch die Rhythmusfraktion – namentlich Drummer Paul Seidel und Bassist Mattias Hägerstrand – diesen Sound bestens unterfüttert. Es wird im Übrigen nicht das letzte Mal gewesen sein, dass The Ocean sich mit der Erdgeschichte befassen – der zweite Teil von „Phanerozoic“ ist bereits für 2020 angekündigt.

30. Dezember, 20 Uhr, Lido | The Ocean: „Phanerozoic I: Palaeozoic“ (Pelagic Records/Metal Blade Records)