heute in hamburg
: „Selbst Gandhi muss als Inspirationsquelle herhalten“

Foto: privat

Christine Hentschel, 40, ist Professorin für Kriminologie, insbesondere Sicherheit und Resilienz, an der Uni Hamburg.

Interview Frieda Ahrens

taz: „In jedem Populismus steckt ein tiefer Anti-Elitismus“ – wie ist das gemeint, Frau Hentschel?

Christine Hentschel: Damit ist das Unbehagen gegenüber „denen da oben“, „dem Establishment“ oder „den Eliten“ gemeint.

Solcher Elitismus spielt trotzdem Ihrer Meinung nach bei den Neuen Rechten eine Rolle?

Ja! Mit welcher Verachtung die Neuen Rechten in ihren Schriften auf die sogenannten Massen schauen und wie sehr sie sich von denen abgrenzen wollen, indem sie sich selbst als Denker in der Tradition von angesehenen deutschen Philosophen und Literaten stilisieren, ist frappierend und muss erklärt werden.

Wie funktioniert dieser Widerspruch?

Ich glaube, dass das Geheimnis dieser selbst ernannten Rechtsintellektuellen ist, dass sie verschiedene affektive Register bespielen, je nachdem wen sie gerade ansprechen wollen.

Was sind die Strategien der Neuen Rechten?

Zum Beispiel die Aneignung des Widerstands gegen das DDR Regime 89 oder gar gegen das NS Regime. Es wird behauptet, Hans und Sophie Scholl waren Helden, die auf ihrer Seite gewesen wären. Oder die Aneignung der Opferrolle: Man nimmt den Judenstern und schreibt nach den Vorfällen in Chemnitz „Sachse“ rein. In den Schriften müssen selbst Gandhi oder Greenpeace als Inspirationsquellen herhalten.

Vortrag „Affekt und Avantgarde in den Schriften der ‚Neuen Rechten‘“:

18 Uhr, im Geo­­­matikum, Raum 838, Institut für Geographie, Bundesstraße 55

Verlieren die Rechten damit nicht an Glaubwürdigkeit?

Das Erstaunliche ist, dass es nicht als Schwäche oder Widerspruch interpretiert wird. Martin Sellner der Identitären Bewegung in Österreich schreibt in seinem Buch, dass er sich das Zentrum für Politische Schönheit, zum Vorbild nimmt, was angesichts der politischen Zielsetzung dieser Künstlergruppe erstaunen mag. Erfolgreiche ästhetische Strategien werden sich einfach jenseits der politischen Verortungen angeeignet, und genau das wird als Stärke gelesen.

Was kann man dagegen tun?

Auf jeden Fall muss die demokratische Linke ihre eigenen, auch affektiven Gegenstrategien ausbauen und nicht allein darauf setzen, die Menschen mit rationalen Argumenten zu überzeugen. Die Leute wollen auch was fühlen.