Theaterstück „Soul Almanya“ in Celle: Kulturbrezeln für alle

In „Soul Almanya“ lässt das Schlosstheater Celle Ensemble und Geflüchtete eine „Band für die neue deutsche Gesellschaft“ gründen.

Rot-schwarz gekleidete Männer und Frauen tanzen auf einer Bühne.

Statt näherem Kennenlernen überdrehter Musical-Gestus: Szene aus dem Stück „Soul Almanya“ Foto: Hubertus Blume

CELLE taz | Wir wollen aufstehen, aufein­ander zugehen, voneinander lernen, miteinander umzugehen“ – der vom evangelischen Pastor Clemens Bittlinger getextete Kita-Hit wird von keiner anderen deutschen Hochkulturinstitution intensiver in Erwachsenenarbeiten zum Thema Migration übersetzt als von den Theatern. Sie beleuchten zwar weiterhin Aspekte der Asyldebatten in Dramenklassikern, heben aber vor allem Geschichten Geflüchteter mit vor Ort einquartierten Hauptdarstellern auf die Bühne.

Ein Balanceakt ist diese Mischung aus Sozial- und Kunstarbeit – häufig aber praktische Integration. Fürs Schlosstheater Celle hat Intendant Andreas Döring „Soul Almanya“ als „transkulturelle Komödie“ nicht nur auf den Spielplan gesetzt, sondern zeichnet gleichzeitig auch verantwortlich für Stückentwicklung, Regie und Bühnenbild. Fünf Musiker sind engagiert und ebenso viele Ensemblemitglieder dabei. Hinzu gesellen sich zwölf Laien, zumeist dem Krieg in Syrien entflohene Menschen mit akademischem Hintergrund.

Alle gemeinsam wollen „eine Band für die neue deutsche Gesellschaft gründen“. Als Gemeinschaft stiftendes Klangmedium haben sie sich für Soul entschieden. Ein erotisch zuckender Groove, den jede Kultur als Energiespender anzapfen und in Bewegung übersetzen kann – um beseelt „miteinander umzugehen“.

Zu erleben ist der Aufstieg eines disparaten Haufens engagierter Celler zu einem leidenschaftlich performenden Kollektiv. Die erste Szene wirkt wie das erste Treffen nach dem Casting der Akteure. Unsicher wuseln sie in Halle 19 der ehemaligen Cambridge-Dragoner-Kaserne durcheinander. In der Bühnenmitte ist Belals Laden geöffnet, es gibt Kulturbrezeln, Wein, Bier und Cola für alle. Plötzlich fliegt ein Fußball in die Plauderei. Im Kicker-Modus kommt es zu ersten Annäherungen. Musikanten entfalten derweil ein Blues-Riff zu einer arabischen Melodie.

Beseeltes Miteinander

Tammam Kahil tritt vor. In Syrien war er Journalist, 2015 gelang die Flucht, derzeit jobbt er sich so durch in Celle: „Ich will jedes deutsche Wort sprechen können, bitte sprechen sie mit mir, ich will alles aufsaugen.“ Schon radelt eine Schauspielerin rüpelig vorüber und brüllt: „Pass auf!“ Kahil: „Wenn mir jeder, der mir begegnet, ein deutsches Wort beibringt, wäre das gut.“ Die Umstehenden schleudern ihm „Pänna“, „Vollidiot“ „Arschloch“ entgegen. „Danke Leute, danke! Ich verstehe euch!“ Er muss aber einschränken: „Die Leute sagen, die deutsche Sprache wäre hart, doch das deutsche Wetter ist härter.“

Es ist dieser chronisch ironische Umgang einander fremder Migranten mit fremden Einheimischen in einer rätselhaften Kleinstadt, die diesen Heimat­sehnsuchtsabend von Beginn an auszeichnet. Viele Szene verströmen Open-Stage-Charme: Jeder bekommt seine fünf Minuten Ruhm und darf zeigen, was er kann, musikalisch, sportlich, gedanklich. Alle erzählen, was sie in Deutschland wollen. Haben auch keine Angst vor Teenie-Träumereien wie „Star werden“.

Den Celler Ureinwohnern wird Angst im Umgang mit Geflüchteten attestiert. Die Folgen? Kahil: „Die Leute haben eher Respekt vor dem Gesetz als vor Menschen, die sie nicht kennen.“ Mit einer sehr groben dramatischen Nadel hat Döring aus den akuten Wahrnehmungen, Erinnerungen, Erklärungsversuchen und Zukunftsentwürfen seine Kurszenen zusammengestrickt, in denen auch Probleme der Migranten-Gemeinschaften zu Wort kommen.

Jeder bekommt seine fünf Minuten Ruhm und darf zeigen, was er kann

Etwa der Konflikt zwischen konservativer islamischer Moral vs. jugendlichem Freiheitsdrang und Offenheit in Gender-Fragen. Es geht um Deutsch-Analphabetismus in Familien, die schon 30 Jahre in Celle leben. Auch um Drogen, Armut, Rassismus, Bürokratie und das Erklimmen des C1-Sprachniveaus. Stets präsent ist Angst vor Abschiebung und um zurückgelassene Verwandte.

Für möglichst authentisch dokutheaternde O-Töne sorgt Döring, indem er solche Themen immer mal wieder nur vorgibt und die Darsteller selbst darüber improvisieren lässt. Auch in den fixierten Dialogen gibt es Freiräume: Auf die Frage „Bist du Muslim?“ darf sich Belal Abdelhamed jeden Abend eine „witzige Antwort“ ausdenken. Diese Hilfsmittel, ständig neu frisch „miteinander umzugehen“, funktionieren wie in guten Bürgerbühnen-Spielklub-Produktionen.

Auch die Musiker müssen „voneinander lernen“. Stellen sie sich anfangs als Coverband mit einer John-Denver-Schnulze vor, poltert Aaron, Sozialarbeiter der Stadt: „Warum spielen junge Russen so einen Country-Scheiß?“ Zum Geldverdienen, lautet die Antwort. Leider ist Aaron ein besonders klischeehaft einpeitschender Idealismus-Opa. Nicht Hit-Nachfrage bedienen, nicht beim Jobcenter anstehen, fordert er, sondern selbst etwas tun. Die Band sollte von ihrem Stadtteil Neuenhäusen singen, wo vor allem Ältere und Kurden wohnen würden, wie die Darsteller sagen. „Man muss doch den Deutschen helfen, dieser Entzweiung der Gesellschaft derzeit etwas entgegenzusetzen, eine Haltung entwickeln, gegen diesen Populismus, gegen diese Verrohung der Sprache.“

Dann trifft er Brit, seine Ex, die von ihrem Traumjob am Celler Schlosstheater erzählt. Ein Sex-Comeback mit Aaron wendet sie ab, um alle Aufmerksamkeit auf den grenzenlosen Liebesaufschwung der jungen Juliane und ihres Ibrahim zu lenken. In Belals Imbiss finden die Band-Interessierten schließlich zusammen. Aaron konstatiert angesichts der nicht anwesenden Supertalente: „Wenn sie dann noch nicht einmal singen können, dann erlebe ich meine Enttäuschung darüber, dass ich nicht wahrhaben kann, dass die meisten Menschen eben nichts Besonderes sind, sondern einfach nur leben wollen.“ Also arbeiten, Geld verdienen, voneinander lernen, Spaß haben.

10./17./19./25./26. 1. sowie 20./23. 2.

„Beim irakischen Döner gegenüber putzt eine Bosnierin“, lautet schließlich ein Tipp. Und die vom Fleck weg engagierte Tiana Kruškić kann tatsächlich auch singen. Björn (Dirk Böther) schneit zudem noch hinein. Unter einer albern üppigen Afro-Perücke prahlt er, mit Rio Reiser gespielt und durch dessen offensichtliches Schwulsein erkannt zu haben, wie politisch Privates sei. „Es ist der Anfang vom deutschen Soul.“

Fortan musizieren alle aufeinander zu, kommen oft sogar zusammen bei alten Soul-Hits und -Eigenkompositionen. Die ebenfalls aus Syrien stammende Yara Eid hat dazu Showchoreografien mit den Beteiligten einstudiert. Die Spielhandlung verliert zusehends an Kontur. Statt Spannungsbogen: Revue-Nummern. Statt näherem Kennenlernen der Teilnehmer: überdrehter Musical-Gestus.

Aber offensichtlich ist es für die Beteiligten ein großes Vergnügen. Sie scheinen als Projektfamilie zusammengefunden zu haben, können so Widersprüche und Gemeinsamkeiten ihrer Kulturen, Religionen, Ideale ausstellen. Schaffen ein Forum dafür. Nur Theater könnte eben auch deutlich mehr. In diesem Fall ist dem aufwendigen Zusammenbringen der vielfältigen Stadtgesellschaft die Kraft künstlerischen Gestaltungswillens verloren gegangen. Und ein Problem mal auszudifferenzieren, passt leider auch nicht ins vitale Konzept, mit dem Kita- als Mitfühl- einen Integrations-Utopie-Hit zu kreieren.

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