die woche in berlin
: die woche in berlin

Beruht die Zustimmung vieler Berliner zur Enteignung großer Immobilien­konzerne auf einem Mangel an Information? Eine Änderung des Berliner Haushaltsgesetzes setzt die Bezirke unter Druck. Wenn die Brandenburger AfD mit ihren Rechtsaußen-Spitzenkandidaten Wahlerfolge erzielen kann, wird das bundesweit zum üblen Signal an die Partei. Dem queer-feministischen Hausprojekt Liebig34 droht die Räumung

Das geht
auf Kosten
vieler

Mehrheit für Enteignung von Großvermietern

Mehr als die Hälfte der Berliner ist dafür, große Wohnungsunternehmen zu enteignen, nur gut ein Drittel ist dagegen. Das sagt eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage, die der Tagesspiegel in Auftrag gegeben hatte. Die Frage ist: War denen, die sich so festlegten, bewusst, was das kostet, weil ja eine Entschädigung fällig wäre? Und – noch wichtiger – auf wessen Kosten ein entsprechendes Volksbegehren ginge? Es liegt nahe, dass dem nicht so war – und dass ein Unternehmensverbandschef recht hat, der die Umfrage damit kommentierte, genauso hätte man auch nach Freibier für alle fragen können.

Natürlich wäre es schön, mehr Wohnungen in staatlicher Hand und damit mehr Einfluss auf den Wohnungsmarkt zu haben Das dürfte aber via Enteignung trotz anderslautender Einschätzung der Initiative, die hinter dem Volksbegehren steht, einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten. Die Hauptbetroffene, die Deutsche Wohnen, bewertet ihre rund 100.000 Wohnungen in Berlin mit 15,6 Milliarden Euro. Und das Volksbegehren zielt ja nicht nur auf sie, sondern noch auf mutmaßlich rund zehn andere Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in der Stadt.

Der komplette Haushalt des Landes Berlin für dieses Jahr ist mit 29,3 Milliarden Euro noch nicht mal doppelt so groß – für alles, vom Kugelschreiber übers Beamtensalär bis zum Feuerwehrauto. Natürlich könnte man künftig auf jegliche Schuldentilgung verzichten und stattdessen jährlich eine Milliarde Euro zur Entschädigung nutzen. Aber bleibt jedes Jahr so viel Geld übrig?

Und ja, Wohnraum ist ein schützenswertes Gut. Aber was ist mit Schule, Bus und Bahn, Sicherheit? Alle können mehr Geld gut gebrauchen. Und angeblich fehlen mehrere Tausend Polizisten, deren Bezahlung auch jenseits der Milliardengrenze läge.

Allein diese Zahlen erschlagen einen. Mit welchem Recht soll eine einzelne politische Entscheidung mit viel höheren Kosten Vorrang haben? Eine, von der eine Minderheit über eine hoffentlich verträgliche Miete profitiert. Aber fahren nicht noch mehr S-Bahn? Gehen nicht mehr zur Schule? Und mit welchem Geld soll das Land dann noch neue Wohnungen bauen?

Man kann das anders sehen und einer Enteignung mit milliardenschwerer Entschädigung den Vorrang geben – man sollte aber auch wissen, was das bedeutet. Stefan Alberti

Ein deutliches Signal

Die AfD Brandenburg hat ihre Kandidaten gekürt

Eigentlich ist sie nur konsequent, die Liste, mit der die Brandenburger AfD in den Wahlkampf zieht. Am vergangenen Wochenende kürte die Partei im südlich von Berlin gelegenen Rangsdorf ihre Kandidaten. Den Spitzenplatz konnte sich, wenn auch mit einigen Gegenstimmen, der Parteichef Andreas Kalbitz sichern.

Kalbitz war in den neunziger Jahren Mitglied der Republikaner, 2007 nahm er an einem Treffen der inzwischen verbotenen rechtsextremen Kaderorganisation Heimattreue Deutsche Jugend teil, er war Mitglied im völkischen Witikobund und noch bis 2015 Vorsitzender eines rechtsextremen Kulturvereins. In der AfD gehört er zum „Flügel“ um den thüringischen Fraktionschef Björn Höcke, und wer sich anhört, was Kalbitz in seinen Reden auf den Kyffhäusertreffen, der Zusammenkunft dieser Parteigliederung, so ins Mikrofon sagt, kann hinterher jedenfalls nicht behaupten, nichts von den Deportationsfantasien der AfD-Funktionäre gewusst zu haben.

Noch bemerkenswerter aber ist der zweite Listenplatz: Mit kaum weniger Stimmen als Kalbitz wählten die AfD-Delegierten den Labormediziner Christoph Berndt. Der Charité-Angestellte zog erst vor wenigen Jahren von Berlin in den Spreewald und begann dort prompt mit der rassistischen Mobilmachung gegen eine Flüchtlingsunterkunft. Bekannt wurde er als Chef des Vereins Zukunft Heimat, der mobilisierungsstärksten flüchtlingsfeindlichen Initiative in Deutschland nach Pegida, die ihren Schwerpunkt im Frühling 2017 nach Cottbus verlegte und dort im letzten Winter Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern veranstalten konnte.

Mit dieser Doppelspitze – und weiteren Kandidaten, die ebenfalls aus außerparlamentarischen rechten Initiativen stammen – vollzieht die Brandenburger AfD, was sie über die letzten Jahre vorbereitet hat: den endgültigen Schulterschluss mit rechtsextremen Bewegungen. Wie kaum ein anderer Landesverband hat sich der Brandenburger dafür eingesetzt, dass die AfD Bewegungspartei sein soll – und Bewegung, das heißt in diesem Fall nun mal mindestens rassistisch, meist rechtsextrem, oft neonazistisch. Sollte die Partei, die momentan gemeinsam mit der SPD in Umfragen auf Platz 1 liegt, mit dieser Strategie an die Regierung kommen, ist das auch ein Signal an den Rest der Partei. Im Osten sowieso, aber auch darüber hinaus. Malene Gürgen

Mit dieser Doppelspitze vollzieht die Branden­burger AfD,was sie über die letzten Jahre vorbereitet hat: den endgültigen Schulterschluss mit rechtsextremen Bewegungen

Malene Gürgenüber die Spitzenkandidaten der AfD in Brandenburg

Was wird aus dem Dorfplatz?

Eine Räumungsklage bedroht die Liebig34

Da fragen einen die BesucherInnen beim Spaziergang über die Rigaer Straße: „Wo ist denn jetzt eigentlich dieser Dorfplatz?“ Zugegeben, im Lichte eines gewöhnlichen Tages sieht die Kreuzung Rigaer Ecke Liebigstraße recht unscheinbar aus. Eine Bäckerei auf der einen Seite, ein Kinderladen auf der anderen, dazwischen ein Zebrastreifen.

Das berüchtigte Hausprojekt Rigaer94 ist ein Stück entfernt, und wahrscheinlich wäre dies hier tatsächlich eine ganz gewöhnliche Straßenkreuzung, wäre da nicht das Eckhaus Liebigstraße 34: bunt bemalt, dazwischen noch das Graubraun der DDR-Fassade, beflaggt mit Solidaritätsbekundungen von anderen und dem eigenen queer-feministischen Projekt. Ende Dezember lief der Pachtvertrag aus, in dieser Woche hat der Eigentümer Räumungsklage eingereicht.

Man könnte dieses Haus als letzte Bastion an einem Ort betrachten, an dem sich Demonstrationen sammeln, Kundgebungen veranstaltet und Straßenfeste gefeiert werden oder einfach standesgemäß herumgelungert wird, ein Bier auf der Hand aus dem Bäckerladen, der auch Späti ist und es sich einst mit Polizisten verscherzte, weil er ihnen den Klogang verwehrte. Das ist der Dorfplatz.

Vieles hat sich hier schon gewandelt, was dem Gelegenheits-Besucher entgehen mag. An der Liebigstraße 14, da, wo jetzt besagter Kinderladen residiert, erinnert nur eine unscheinbare Plakette deutlich über Blickhöhe daran, dass auch dies einst ein politisches Haus war. Bis zu 2.500 PolizistInnen sollen im Jahr 2011 bei der Räumung des hier damals ansässigen Hausprojekts beteiligt gewesen sein. Und der schwarze Asphalt, der die alten Gehwegplatten rund um den Dorfplatz aufs Hässlichste einsäumt, ist noch keine zwei Jahre alt. Er soll die wurfgeschosstauglichen Pflastersteine ersetzen, die hier eigentlich mal lagen.

Auch das Projekt Liebig34 sollte schon längst weichen, nach dem Willen des Eigentümers, der berüchtigten Familie Padovicz. Noch weigert sich das Kollektiv. Und auch Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Grüne) glaubt trotz Räumungsklage an eine Lösung im Sinne aller Beteiligten.

Man braucht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie er einen renditeorientierten Immobilienunternehmer und ein anarcha-queer-feministisches Wohnprojekt, das mit allen Obrigkeiten auf Kriegsfuß steht, unter einen Hut bringen will. Gelingt dies nicht, dann wird die Frage „Wo ist denn jetzt eigentlich dieser Dorfplatz?“ zu einem Fall für historische Stadtrundgänge. Manuela Heim

Nicht unbedingt gerechter

Änderung im Haushaltsgesetz

Manchmal verbirgt sich hinter vermeintlich kleinen Streitereien ein weit grundsätzlicheres Problem. Das ist auch in Pankow der Fall, dort sorgte der Konflikt um die Finanzierung des Kinderbauernhofs Pinke Panke in der vergangenen Woche für Aufregung. Der Bezirk wollte die Unterstützung für dieses Jahr um die Hälfte zurückfahren, dem Bauernhof hätten damit auf einen Schlag rund 40.000 Euro an Projekt- und Honorarmitteln gefehlt. Doch eine im Dezember noch ins neue Haushaltsgesetz gerutschte Ergänzung schob diesen Plänen einen Riegel vor: Die Abgeordneten von Rot-Rot-Grün hatten beschlossen, dass die Bezirke nicht mehr aus der Finanzierung von Projekten aussteigen können, wenn die Landesebene diese kofinanziert. Pankows Jugendhilfeausschuss musste am Dienstag die im November beschlossenen Kürzungen zurücknehmen.

Böses Jugendamt, armer Bauernhof, richtiger Vorstoß von Rot-Rot-Grün? So einfach ist es nicht. Der Grundgedanke leuchtet zwar ein: Die Bezirke sollen sich nicht aus der Verantwortung stehlen können, wenn das Land zuschießt – um dann mit dem Geld irgendwo anders ein Haushaltsloch zu stopfen.

Tatsächlich sorgt die Gesetzesänderung jedoch nicht zwangsläufig für mehr Gerechtigkeit. In Pankow müssen nun fünf andere Projekte – etwa ein Mädchentreff und ein Club für benachteiligte Jugendliche –, die sich über die Pinke-Panke-Gelder gefreut hätten, wieder bangen: nämlich darum, dass der Bezirk die schon versprochenen Mittel noch irgendwo anders im Haushalt findet.

Pankows Jugendstadträtin Rona Tietje (SPD) ist zwar optimistisch und guten Willens, wie sie der taz sagt. Das ist einerseits schön, und es zeigt auch: Wenn eine gewisse öffentlichkeitswirksame Aufmerksamkeit entsteht – die Pinke-Panke-Leute waren da mit Protestaktio­nen und einer Onlinepetition recht erfolgreich –, kann diese Gesetzesänderung positiven Druck erzeugen. So mancher Stadtrat oder so mache Stadträtin entdeckt da vielleicht doch noch einen Notgroschen im Bezirkssäckel.

Das muss aber nicht immer so laufen. Was die Änderung im Haushaltsgesetz also vor allem schafft: dass am Ende einzelne Projekte und Vereine die Leidtragenden sein können. Orte wie der Kinderbauernhof Pinke Panke verfügen über eine große Strahlkraft und eine auch politisch gut vernetzte Elternlobby, die öffentlichkeitswirksame Proteste auf die Beine stellen können. Bei einem Mädchentreff oder einem kleinen Jugendclub sieht das anders aus. Anna Klöpper