berliner szenen
: Die Kneipe und die Erinnerung

Es tue ihr leid, sich daran nicht erinnern zu können. Nicht meinetwegen. Sondern weil sie sich fragt, ob es sich lohnt, etwas zu erleben, wovon man später keinen Schimmer mehr hat. Diese Antwort kann ich ihr nicht geben, doch ich kann ihr versichern, dass wir zusammen getanzt haben und es sehr schön war. „Was war das für eine Musik?“, fragt sie. „Alles Mögliche. Am Ende wurde es sehr kitschig: Dirty Dancing“, sage ich.

An dem Abend veranstaltete sie auch mit ihrem Begleiter einen Wettbewerb im Rülpsen, und ein Mann sagte ihr, sie sei „armselig“. Ich mischte mich ein und bat ihn, die Kneipe zu verlassen, was er auch tat. Darüber aber erzähle ich nichts.

Wir philosophieren stattdessen weiter über die Vergänglichkeit, als ich merke, dass ich die Frau, die neben uns auf dem Hocker sitzt, auch schon mal gesehen habe. Sie kam einmal rein, suchte sich eine Ecke im verrauchten Raum und fing an, wild zur Popmusik zu tanzen und ihre Tausend Armbänder zu schütteln. Dabei zeigte sie auf mich und lud mich mit Gesten ein dazuzukommen; wohl weil sich niemand anders für sie zu interessieren schien.

Sie hat mich offensichtlich auch vergessen, und ich traue mich nicht, sie darauf anzusprechen.

Jetzt trinkt sie Gin Tonic mit einem Strohhalm. Die Hände auf dem Schoß, beobachtet sie durch ihre dicke Brille lange ihr Getränk. Dann lächelt sie mich kurz an und steht auf.

Meine Gesprächspartnerin ist inzwischen verschwunden. Die Frau mit der Brille geht zum Laptop-Pool, spricht mit dem DJ und scrollt sich auf YouTube durch. Plötzlich hören wir Rihanna und sie fängt an, sich dazu zu bewegen. Sie winkt mir, ich winke zurück. Doch ich bleibe sitzen und bestelle ein Bier. Heute habe ich keine Lust zu tanzen.

Luciana Ferrando