Wie die Ukraine eine ihr genehme Kirche formt

Die Kiewer So­phien­ka­the­dra­le ist die bedeutendste Kirche der orthodoxen Christenheit ostslawischer Prägung. Von ­Jaroslaw dem Weisen, dem zweiten christlichen Herrscher der ­Kiewer Rus erbaut, ist sie für orthodoxe Russen, Ukrainer und Weißrussen ein Heiligtum. Vor den Toren der Ka­the­dra­le haben sich schon Fromme geschlagen, als es im Dörfchen Ptitscha noch beschaulich zuging. Denn auf die Kathedrale erheben die Gläubigen des Kiewer Patriarchats genauso Anspruch wie die des Moskauer Patriarchats. Aus gutem Grund fanden hier seit Jahren keine Gottesdienste mehr statt. Die Kirche ist ein staatliches Museum.

Doch die Zeit der Neutralität ist vorbei. Am 15. Dezember 2018 feierte dort der ukrainische Präsident Petro Poroschenko seinen kirchenpolitisch größten Coup. Vor der prächtigen Bilderwand saßen hochrangige Geistliche – zwischen ihnen Petro Poroschenko, offiziell nur „Ehrengast“ – und verkündeten die Gründung einer einheitlichen ukrainisch-orthodoxen Na­tio­nal­kir­che, unabhängig von Russland und dem Moskauer Patriarchen.

Schon lange hatte Poroschenko daran gearbeitet, die Ukraine auch kirchenpolitisch vollständig von Russland zu lösen, das historisch bedingt über Einfluss und Besitz in der Ukrai­ne verfügt. Aus diesem Grund hatten sich schon zwei Ableger vom Moskauer Patriarchat abgespalten: die kleine Ukrai­ni­sche Autokephale Kirche 1920, und die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche/Kiewer Patriarchat 1992. Beide Kirchen hatte Poroschenko schon auf seiner Seite. Was noch fehlte, war das Einverständnis der Moskautreuen und – noch wichtiger – der Segen von höherer Stelle.

Den holte er sich Anfang November beim Ökumenischen Patriarchen Bartholomeos in Istanbul. Diesem gebührt unter den orthodoxen Patriarchen als Primus inter Pares ein Ehrenvorsitz, weil er der Bischof der einstigen Kaiserstadt Konstantinopel ist. Kurzum, sein Wort hat erhebliches Gewicht. Und Bartholomeos erkannte in einem Schreiben der Kirche in der Ukrai­ne einen unabhängigen Status zu – was nichts anderes hieß, als dass er dem Drängen Petro Poroschenkos nachgab.

Unverzüglich lud Poroschenko die Bischöfe aller drei orthodoxen Kirchen zum 15. Dezember 2018 zum Konzil in die Sophienkathedrale. Für das Moskauer Patriarchat eine einzige Provokation. Es untersagte seinen Bischöfen die Teilnahme, zwei kamen allerdings trotzdem. In einer geheimen Abstimmung sprachen sich die Bischöfe für die Gründung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche aus. Zum Oberhaupt wählten sie den 39 Jahre alten Metropoliten Epifanij, bis dahin Bischof von Perejaslaw und Bila Zerkwa. „Heute ist der Tag der endgültigen Erlangung der Unabhängigkeit von Russland“, bilanzierte Petro Poroschenko den Tag.

Für Poroschenko bedeutet die Neugründung: Es ist eine Kirche ohne Putin, eine Kirche ohne Gebete für die russische Staatsmacht und die russischen Truppen. Vor allem aber ist sie für ihn ein dringend benötigter Erfolg. Poroschenko, seit Juni 2014 Präsident, dürfte sich am 31. März 2019 der Wiederwahl stellen, seine Umfragewerte sind allerdings im Keller. Nach dem Konzil dürften sich für den gläubigen Patrioten die ­Zustimmungswerte verbessert haben.

Der Moskauer Patriarch Kyrill hingegen wettert über „beispiellose Eingriffe der Staatsmacht“ und die Orthodoxe Kirche/Moskauer Patriarchat pocht auf ihre Besitztümer in der Ukrai­ne. ­Außerdem lasse sie sich nicht den Namen vorschreiben, den das ukrainische Parlament kurz nach dem Konzil für die Moskautreuen verfügt hat. Sie sollen in Zukunft „Russsich-orthodoxe Kirche in der Ukrai­ne“ heißen.

Am 6. Januar, am Vorabend des orthodoxen Weihnachtsfestes, wird der neue Metropolit Epifanij von Patriarch Bartholomeos in Istanbul den Erlass entgegennehmen, der die „Autokephalie“, die Eigenständigkeit der neuen Kirche, bestätigt. Bei allen frommen Wünschen, die bei solchen Gelegenheiten ausgetauscht werden – der Kirchenkampf unter den Orthodoxen ist damit gewiss noch nicht vorbei.

Thomas Gerlach