Aktivist über alternative Lebensformen: „Stadt braucht Subkultur“

Wieder mal wurde der Wagenplatz Ölhafen von einer Fläche verwiesen. Daniel Schnier von der Zwischenzeitzentrale über die Taktik der Stadt und die fehlende Militanz der Bewohner.

Noch im Sommer stand sie hier in der Neustadt: Wagenplatzgruppe Ölhafen. Foto: Jean-Philipp Baeck

taz: Herr Schnier, wieso musste die Wagenplatzgruppe Ölhafen zum fünften Mal umziehen?

Daniel Schnier: Der Ölhafen sucht einen Ort mit einer vier- bis fünfjährigen Wohnsicherheit. Diese Absicherung will die Stadt aber nicht gewährleisten. Sie gibt der Gruppe keine Aussicht auf eine längerfristige Daseinsberechtigung. Außerdem wünschen sich die Bewohner*innen einen Ort in Innenstadtnähe – auch das will die Stadt nicht leisten.

Warum lässt sich die Gruppe immer wieder vertreiben?

Dass die Gruppe immer weiter zieht, kommt wohl auch daher, dass sie ihr Projekt nicht als Besetzung versteht. Der Ölhafen ist ein Kulturverein auf der Suche nach einem Ort für ihr Kulturprojekt – die Menschen wollen keinen Streit. Wenn Sie von einer Fläche verwiesen werden, dann gehen sie.

Wieso fehlt der gesellschaftliche Rückhalt?

Obwohl das Leben im beweglichen Bauwagen rechtlich geduldet werden kann, scheint es in unserer heutigen Gesellschaft immer noch nicht gern gesehen zu sein. Jedenfalls ist das bei einigen Gruppen so: Wenn sich ältere Menschen in ihrer zweiten Lebenshälfte dafür entscheiden, in der Überseestadt in schickimicki Tiny Houses zu ziehen, wäre das bestimmt für alle okay. Ist ja auch grad ein Trend. Nicht okay ist es aber, wenn ein alternatives Wohnprojekt in der Innenstadt Raum sucht. Zumal diese Neubürger*innen auch ein subkulturelles Angebot schaffen möchten.

Sehen Sie das Problem in der fehlenden Militanz der Gruppe?

41, Architekt, Gründer des Autonomen Architektur Ateliers und Mitbetreiber der Zwischenzeitzentrale Bremen

Ich denke, es spricht für die Überzeugung der Menschen, wenn sie sich keiner Gewalt bedienen wollen. Und definitiv spricht es gegen die Stadt, wenn gewaltloser Protest nicht gehört wird. Es stellt sich die Frage, ob Veränderungen nur passieren, wenn man besetzt, geltendes Recht bricht und sich Repressionen aussetzt.

Ist die Stadt überhaupt verantwortlich dafür, den Menschen Wohnraum zu organisieren?

Es geht um viel mehr als um Wohnraum. Es geht um subkulturelle Angebote. Ich habe oft den Eindruck, der Stadt geht es vor allem darum, kritisches Leben in der Stadt zu verdrängen. Politik spricht ständig davon, dass junge Menschen in Bremen gehalten werden sollen, um Mehrwert zu generieren, aber die gesellschaftlichen Zusammenhänge werden bei dieser Logik ausgeklammert. Diversität zu fordern in einer Demokratie, heißt auch, keine Kontrolle zuzulassen. Diese Menschen haben sich entschlossen, herzukommen – und machen uns ein Angebot. Dafür werden sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen.

Wieso ist es für die Wagenplatzgruppe so wichtig, innenstadtnah zu stehen?

Man möchte da sein, wo man zum Nachdenken anregt und möchte einen kritischen Kontrapunkt im Stadtteil setzen. Und außerdem will man sich auch nicht aus dem Stadtbild verdrängen lassen.

Zuletzt musste sich Bremen in Städte-Rankings sinkende Attraktivität für junge Menschen attestieren lassen. Hat das mit den wenigen subkulturellen Räumen zu tun?

Stadt braucht Subkultur. Wir wollen schließlich keine unkritische Masse junger Menschen hervorbringen. Deshalb hat Attraktivität natürlich mit den Angeboten zu tun. Diese engagierten Menschen haben Ideen und bereichern damit unsere Stadt. Einige der heute etablierten Kultureinrichtungen sind durch Initiativen wie dem Ölhafen oder dem Zucker-Club entstanden.

Zum Beispiel?

Der Schlachthof und das Lagerhaus waren in den 80ern Kulturinitiativen von Bürger*innen, sind teilweise sogar als Besetzungen gestartet.

Wie viel städtische Unterstützung braucht Subkultur?

Subkultur braucht vor allem Raum – den gibt es meist von der Stadt. Und sie braucht eine Stimme in der Politik. Zwei oder drei verrückte Köpfe, die es derzeit in Politik und Verwaltung gibt, reichen nicht, um die Szene nachhaltig zu unterstützen. Zu vielen Menschen in Politik und Verwaltung geht es nicht um die Kultur, sondern um Profit.

Wie macht sich das für Sie bemerkbar?

Etwa beim Zucker-Club: Da haben uns Privatinvestoren aus der Wirtschaft angerufen, die von Kaufangeboten der Stadt gehört hatten. Die haben uns geraten, uns nicht veralbern zu lassen. Die Forderungen seien viel zu hoch für so einen sanierungsbedürftigen Schrottbunker. Und dabei tun wir doch etwas für die Stadt, wenn wir Räume instand halten oder sanieren, wenn wir Flächen beleben, deren Bewirtschaftung und Erneuerung die Stadt zum Teil Millionensummen kosten würde.

Auch das Sportamt hat ja mittlerweile einen Raum für subkulturelle Arbeit gefunden.

Und auch hier lässt sich mal genauer sehen, in welchem Zustand die Räumlichkeiten angeboten wurden. Sieben Jahre lang stand das Gebäude leer, wurde aber trotzdem durchgehend beheizt, inklusive Hausmeister*innen-Dienst. Bevor man der Zwischenzeitzentrale das Gebäude zur Zwischennutzung angeboten hat, wurden die Heizöltanks ausgebaut. Kaltvermietung hat da eine sehr wortwörtliche Bedeutung. Dennoch haben wir eine Gruppe zur saisonalen Zwischennutzung gefunden – ohne Heizung. Es scheint, als würde man auf Zeit spielen, die Menschen vergraulen wollen, frei nach dem Motto: Mal sehen, wie lang die es da so aushalten.

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