Kommentar Macrons Brief an die Nation: Gefährliches Neuland

Macron bietet per Brief den Dialog an und wird dafür verspottet. Er geht dabei das echte Risiko ein, dass sein Angebot angenommen wird.

In Paris rennt ein Mann mit einer gelben Weste auf die Kamera zu

Macron versucht die Auseinandersetzung von der Straße auf die Ebene des Dialogs zu heben: Demonstrant in einem Pariser Vorort (09.01.) Foto: dpa

Ist es unfair, wenn ein Teil der Medien und die Opposition in Frankreich den Versuch des Staatspräsidenten, mit einem Brief einen Dialog in Gang zu bringen, schon im Voraus verspotten oder ablehnen? Nach der Erfahrung der ersten 18 Monate der fünfjährigen Amtszeit fällt es vielen schwer zu glauben, dass Emmanuel Macron ihnen mit seiner demokratischen Pirouette quasi eine Politik à la carte anbietet.

Man kann es diesen Skeptikern nicht verdenken, wenn sie vermuten, bei dieser Initiative von oben müsse es sich zwangsläufig um ein Ablenkungsmanöver oder gar einen politischen Täuschungsversuch handeln. Der Präsident hat bisher nie hingehört, wenn sein Kurs kritisiert wurde, weshalb sollte er jetzt plötzlich voller Demut der Volksmeinung Rechnung tragen? Mit diesem Vorurteil muss Macron rechnen.

Er geht indes ein echtes Risiko ein. Niemand weiß, was bei dieser Debatte herauskommen und vor allem, was für eine unkontrollierbare Dynamik damit eventuell ausgelöst wird. Ob das Motiv des von der Gelbwesten-Bewegung in die Enge getriebenen Staatschefs eher Mut oder Verzweiflung ist, sei dahingestellt. Spannend wird es auf jeden Fall, wenn die BürgerInnen nun den Präsidenten beim Wort nehmen und ihre Chance zu mehr direkter Mitsprache nutzen wollen. Sie werden es kaum hinnehmen, wenn danach alles beim Alten bleiben soll.

Macron wagt sich in der französischen Politik also auf gefährliches Neuland. Seine vorrangige Absicht ist es, die Auseinandersetzung von der Straße weg auf die Ebene des Dialogs und der Konfrontation von Ideen zu bringen. Falls dies gelingt, wäre das schon mal ein wichtiger Erfolg für ihn. Es könnte ihm sogar erlauben, die verbleibenden drei Jahre seines Mandats und einen Teil seines Programms zu retten.

Voraussetzung dafür aber wäre, seine Landsleute kaufen ihm ab, dass sein Angebot zum Dialog ehrlich gemeint ist. Dieser Kampf um die Glaubwürdigkeit ist schwer zu gewinnen, aber er ist für ihn nicht im Voraus verloren.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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