Kommentar von Susanne Memarnia über den Umgang mit Obdachlosen
: Von Dasseldarf nicht das Vorbild sein

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Susanne Memarnia, Redakteurin für Migration und Arbeit

Die Räumung des Obdachlosen-Camps am Hauptbahnhof macht in mehrerer Hinsicht betroffen. Es beginnt bei der Sprache: Was für ein Menschenbild steht hinter dem Begriff des „Unrats“, der laut Bezirk entsorgt wurde? Es mag ja sein, dass unsereins, die wir eine Wohnung und ein halbwegs bürgerliches Leben haben, die traurigen Reste von Habseligkeiten, die Wohnungslose mangels Alternativen in Tüten mit sich herumtragen oder unter Brücken sammeln, als Müll erscheinen. Für die Betroffenen jedoch ist es alles, was sie haben. Das als „Unrat“ zu bezeichnen, rückt sie in die Nähe von Tieren, die in solchem leben.

Auch das Vorgehen der Polizei wirft Fragen auf. Zwar muss es Möglichkeiten der „Eigensicherung“ für Beamte gegen aggressive Verdächtige – und auch gegen Läusebefall – geben. Aber ist es nicht verständlich, dass die Frau angesichts der Räumung ihrer Bleibe aggressiv wurde? Warum waren keine Sozialarbeiter des Bezirks vor Ort, um mit ihr über Möglichkeiten zu sprechen, wohin sie gehen kann? Warum musste man sie unbedingt mitnehmen aufs Revier, wenn gar kein Haftbefehl gegen sie vorlag? Jemanden mit einem Sack über dem Kopf abzuführen, bloß um ihn erkennungsdienstlich zu behandeln, ist offensichtlich überzogen und damit menschenunwürdig.

Von Dassel will zur Hilfe zwingen

Auch die verschiedenen Einlassungen des grünen (sic!) Bezirksbürgermeisters sprechen Bände. Er hoffe, dass das „konsequente Handeln des Bezirksamts dazu beiträgt, dass obdachlose Menschen die vorhandenen Hilfen annehmen“, hatte Stephan von Dassel zunächst erklärt. Später schob er per Twitter nach, es sei sozialer, Menschen „zur Hilfeannahme zu nötigen“, als sie in ihrem Elend zu belassen.

Will hier ein Grüner tatsächlich Menschen zur Hilfeannahme zwingen? Da lässt Berlins Boris Palmer aber einen sehr vormodernen Begriff vom Sozialstaat durchscheinen. Vielleicht will er auch bald das Armenhaus wieder einführen, in das man früher – oft nur scheinbar freiwillig – Alte, Arme und Bettler gesteckt und dann auch gerne zur Arbeit gezwungen hat?

Vielversprechender scheint da der Weg, den Sozialstaatssekretär Alexander Fischer am Wochenende ins Gespräch gebracht hat. Ein Vorgehen nämlich analog zum Camp an der Rummelsburger Bucht, wo Sozialarbeiter offenbar mit allen Betroffenen geduldig sprechen – und sie so zu überzeugen versuchen, sich durch das vorhandene Hilfesystem unterstützen zu lassen und ihr Lager zu räumen.

Wenn Fischer nun die Bezirke einlädt zur Diskussion, wie ein „berlinweit einheitlicher Umgang“ mit Camps aussehen kann, dann muss es bitte in diese Richtung gehen. Ein gemeinsames Vorgehen hatte nach dem Mord im Tiergarten und von Dassels damals viel diskutierter Forderung, obdachlose Ausländer abzuschieben, auch schon die damalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gefordert. Sie ließ ebenfalls gerne Parks räumen und ging noch einen Schritt weiter: Obdachlose Ausländer wurden einfach per Bus in die Heimat verfrachtet – natürlich ganz „freiwillig“. Man darf also gespannt sein, ob es dem Senat gelingt, Bezirke wie Mitte oder Neukölln, die es mehr mit dem Zwingen haben, von einer menschlichen Linie zu überzeugen.