Strohhalme gesucht

Statt Aufholjagd erlebt Abstiegskandidat Hannover 96 in der Fußball-Bundesliga beim 0:1 gegen Bremen einen Rückschlag. Anders als bei Werder fehlen personelle Optionen

Heute hier, morgen dort: Werders Martin Harnik (l.) ließ sich die Freude über den Sieg beim Ex-Arbeitgeber nicht nehmen Foto: Swen Pförtner/dpa

Von Christian Otto

Der Kronzeuge des Tages sah extrem zufrieden aus. Martin Harnik war bis zum Sommer 2018 noch ein Held von Hannover 96. Jetzt geht er im Trikot von Werder Bremen auf Torejagd, hat bei seinem Ex-Klub am Samstag mit 1:0 gewonnen – und bereut offenbar nichts. „Nicht nur der Sieg, sondern auch die Art und Weise war sehr gut“, sagte der Stürmer. Mit Werder die Chance auf einen internationalen Wettbewerb zu haben, fühlt sich gut an. Die Not des ehemaligen Klubs vergrößert zu haben, ist nicht so schön, gehört aber zum Geschäft. „Wir waren alle sehr aktiv“, sagte Harnik über eine Werder-Elf, die ihrem Gastgeber in nahezu allen Belangen überlegen war.

Aktivität, Aggressivität, Aufbruchstimmung: Was Werder gezeigt hatte, bleibt für die Profis von Hannover 96 Wunschdenken. Mit Nicolai Müller (Eintracht Frankfurt), Kevin Akpoguma (TSG Hoffenheim) und dem aus seiner Heimat zurückgekehrten Brasilianer Jonathas wurden gerade drei neue Spieler angeheuert. Laut Hannovers Sportdirektor Horst Heldt sind diese personellen Nachbesserungen am Spielerkader einzig und allein dem Umstand zu verdanken, dass Vereinspräsident Martin Kind privates Geld investiert. Trotzdem wählte der harte Kern der Fans nach der Heimpleite gegen Bremen wieder jenen Protestton, der in Hannover fast alles überlagert. „Kind muss weg“ – die meisten Anhänger, die in der Nordkurve des Stadions stehen, sind besorgt, sauer und hörbare Kind-Gegner.

Vielleicht lässt sich die Sache noch reparieren. Die Neuen deuteten an, dass sie das abstiegsgefährdete Team verstärken können. Trotzdem fehlt es an Leichtigkeit. Und wenn zu viele Stammspieler verletzt sind, auch an der nötigen Qualität.

„Es ist uns nicht gelungen, den Mut und die Spielfreude zu entwickeln“, gestand Cheftrainer André Breitenreiter. In der Schlussphase hatte er mit den Brasilianern Jonathas und Felipe zwei Hünen eingewechselt. Langer Ball nach vorne, Kopfballduell gewinnen und auf eine Torchance hoffen – diese Taktik nennt man im Fachjargon „Brechstangen-Fußball“. Aber auch jene Variante, mit der ein ungenügender Spielaufbau übertüncht wird, wollte keinen Erfolg bringen.

Der feine Unterschied zwischen Werder Bremen und Hannover 96 zeigt sich, wenn die Stammelf wegen verletzter oder formschwacher Spieler verändert werden muss. Werders Trainers Florian Kohfeldt freute sich über den Siegtreffer von Milot Rashica und die Vorbereitung von Harnik mit der Hacke. Beide drängen in die Stammelf und beleben den Konkurrenzkampf. Kohfeldt darf auswählen, bewusst improvisieren. Neuzugänge während der Winterpause benötigte er nicht.

„Wenn da jemand ist, der es besser kann, dann muss man handeln“

Hannover-96-Coach Andre Breitenreiter über seinen Job

Sein Kollege Breitenreiter verfügt über deutlich weniger Optionen. Einen Neuzugang wie Jonathas ohne Bindung zum Team und ausreichendes Training mit der Mannschaft gleich aufzustellen, widerspricht allen Regeln der Vernunft. Aber Hannover 96 klammert sich angesichts von elf Pluspunkten nach 18 Spielen an jeden Strohhalm.

„Ein Spiel wirft nicht alles um“, findet Michael Esser. Wieder einmal war der Torhüter der beste Spieler von Hannover 96. Zu passiv, zu langsam, zu umständlich: Mit diesen Worten beschrieb der sonst sehr zurückhaltende Schlussmann den Auftritt seiner Kollegen.

Weitere Neuzugänge sind offenbar nicht bezahlbar. Ob sich Hannover 96 in dieser Saison noch einen neuen Trainer leisten muss, bleibt abzuwarten. „Wenn man der Meinung ist, dass auf dieser Position eine Veränderung der Mannschaft und dem Verein besser tut, wenn da jemand ist, der es besser kann, dann muss man handeln“, sagte Breitenreiter nach dem Spiel über sich und seinen Job. Ein paar Meter weiter stand sein Kollege Kohfeldt und durfte entspannt erklären, warum Werder Bremen nicht noch höher gewonnen hatte.