Zerlegt auf Schuhschachtelgröße

Alexander Zverev scheidet mit einer krassen Niederlage gegen den Kanadier Milos Raonic bei den Australian Open aus. Dem Deutschen gelang fast nichts; zurück blieben ungelöste Fragen und ein demolierter Schläger

Der Schläger muss jetzt leiden: Alexander Zverev während der Partie in Melbourne Foto: ap

Aus Melbourne Doris Henkel

Es gebe Tage, meinte Alexander Zverev zum Abschied aus Melbourne, da bewege man sich nicht in seiner eigenen Welt. Stimmt. Fragt sich nur, in welchem Teil dieser Welt er sich bei seiner krassen Niederlage gegen den Kanadier Milos Raonic (1:6, 1:6, 6:7) verlaufen hatte. Zwei Sätze lang irrte er wie ein Geist durch einen Dschungel ungelöster Fragen, und die einzigen Momente, in denen sich dieser Geist materialisierte, waren bei einem Frustanfall zu besichtigen, in dem er seinen Schläger mit neun kräftigen Hieben auf die Größe einer Schuhschachtel reduzierte. Dass er am Ende allenfalls in ein paar wenigen Momenten als er selbst zu erkennen war, half nicht mehr viel.

Nach den zwei Stunden dieses Auftritts war die Ratlosigkeit fast noch größer als 24 Stunden zuvor bei der ähnlich ernüchternden Niederlage von Angelique Kerber gegen die Amerikanerin Danielle Collins. Die ersten beiden Sätze dauerten nur knapp mehr als eine Stunde, Zverev brachte kaum einen Aufschlag ins Feld, und man sah ihm an, wie er mit jedem Fehler wütender wurde. Raonic musste in dieser Phase nicht viel mehr tun als den Ball im Spiel zu halten – und den Rest kümmerte sich der Gegner persönlich.

In den ersten drei Runden des Turniers hatte Zverev solide gespielt, abgesehen von ein paar gefährlichen Wacklern in der Partie gegen den Franzosen ­Jeremy Chardy; er hatte das Gefühl gehabt, diesmal auf einem besseren Weg zu sein als im vergangenen Jahr. Es sei alles in Ordnung mit ihm gewesen, es habe ihm nichts gefehlt, versicherte er hinterher, aber schon nach ein paar Schlägen habe er keine Ahnung mehr gehabt, wie man einen Ball ins Feld spiele.

Altmeister John McEnroe meinte als Kommentator für das amerikanische Fernsehen, in dieser Form hätte Zverev nicht mal die erste Rund der Qualifikation überstanden. Im dritten Satz sei es etwas besser gewesen, fand Deutschlands Bester, aber dass er überhaupt in den Tiebreak gekommen sei, sei fast schon ein Wunder gewesen. Passiert an einem jener Tage, die man nicht erklären könne – es waren die gleichen Worte, die Angelique Kerber am Tag zuvor benutzt hatte.

Natürlich kann man sich fragen, welche Rolle der Triumph beim ATP Finale im November vergangenen Jahres bei der ganzen Geschichte spielt. Ob ihn der größte und wertvollste Titel seiner Karriere glauben ließ, auf einer anderen, höheren Ebene gelandet zu sein, auch bei den Grand-Slam-Turnieren. Aber um diese andere Ebene geht es in jedem einzelnen Spiel, und wie man sich darauf bewegt, zeigt das Beispiel von Stefanos Tsitsipas beim Sieg am Abend zuvor in einem begeisternden Spiel gegen Roger Federer.

Der Grieche stürmte durch dieses Spiel, als wolle er die Welt erobern und als gäbe es nichts Schöneres als diesen Akt der Eroberung. Viele fühlten sich bei seinem Auftritt in der Rod Laver Arena an Federers Auftritt anno 2001 in Wimbledon beim Sieg gegen Pete Sampras erinnert. Und vielleicht wird man irgendwann zurückblickend feststellen, mit dem Coup gegen Federer habe Tsitsipas seine Ambitionen in der Welt des Tennis wie eine Flagge in den Boden des Mondes gerammt.

Zverev hingegen überließ das Spiel gegen Milos Raonic einem Selbst, das sich von drei falschen Schritten komplett aus dem Rhythmus bringen ließ. Der Auftritt an diesem ernüchternden Nachmittag in der Rod Laver Arena ändert nichts an seinen Ambitionen und Aussichten und nichts an der Wahrscheinlichkeit, mit der er Grand-Slam-Titel gewinnen wird.

Aber mit manchen Dingen liegt er einfach falsch, so mit der Theorie, in den vergangenen Jahren hätten die Sieger der ATP Finals bei den Australian Open wegen der knappen Vorbereitungszeit nie besonders gut gespielt. Nun, das trifft in den vergangenen fünf Jahren allenfalls auf Andy Murray zu, der 2016 in London den Titel gewann und zwei Monate danach in Melbourne in der vierten Runde verlor.

Am Ende blieben ungelöste Fragen und ein demolierter Schläger. Rein rechnerisch betrachtet kam Zverev eine Runde weiter als im vergangenen Jahr, und mit den Punkten für diese Steigerung wird er nach dem Ende des Turniers wieder auf Platz drei der Weltrangliste stehen – und damit vor Roger Federer, der mindestens auf Platz sechs zurückfallen wird. Auf die Frage, was er aus den ersten Wochen des Jahres mitnehmen werde, antwortete Alexander Zverev nach der Niederlage gegen den souverän und durchdacht spielenden Milos Raonic, der Hopman Cup in Perth sei wunderschön für ihn gewesen. Kaum anzunehmen, dass ihm das reicht.