wortwechsel
: „Immer und überall nur Antisemiten“

Die Bank für Sozialwirtschaft verweigert einer jüdischen antizionistischen Organisation ein Bankkonto. Das führte zu einer Kontroverse in der taz, auch über die Kampagne BDS

Neu eröffnete Autobahn bei Jerusalem mit Segregationsmauer Foto: ap

„Zwischen den Stühlen“, „Kurios, naiv, hilflos“ von Stefan Reinecke, „bds und antisemitismus: Die Delegitimierung Israels“ von Frederik Schindler, taz vom 11. 1. und 15. 1. 19

Dämonisierung Israels

Die in Ihrem Kommentar zu Antisemitismus und die Bank für Gemeinwirtschaft angesprochene Frage nach jüdischer Identität kann oder sollte selbstverständlich keinesfalls insbesondere von nichtjüdischen Deutschen entschieden werden. Allerdings muss sich jede Organisation oder Person an den konkreten Inhalten messen lassen, die sie vermittelt.

Der von der „Jüdischen Stimme“ unterstützte internationale Aufruf für einen totalen Boykott Israels, „BDS“ (Boykott, Divestment, Sanctions), benennt „die Befreiung allen arabischen Landes“, nicht beschränkt auf die nach 1967 besetzten Gebiete, und das „Recht auf Rückkehr“, potenziell aller Flüchtlinge von 1948 und ihrer Nachkommen nach Israel, als seine unverhandelbaren Ziele. Beides zusammen verunmöglicht demokratische Kritik, Verständigung und Dialog, es betreibt im Gegenteil unkritisch die Dämonisierung Israels und eine totalitäre Lösung des Konflikts. Florian Hessel, ­Bagrut e. V., Hamburg, Sebastian Mohr, Watch: ­Antisemitism in Europe, Berlin

Das vierte „D“

Sehr geehrter Herr Reinecke, nach dem Kommentar von Herrn Schindler habe ich mich sehr über Ihren Artikel über die Bank für Sozialwirtschaft gefreut. Dabei sind die Auslassungen von Herrn Schindler besonders interessant wegen eben seiner Auslassungen. Wenn er schreibt, die Palästinenser hätten „grundsätzlich die gleichen Rechte wie jüdische Israelis“, dann hat er wohl nie über die „Trennungsmauer“ geschaut, vom Nation-State-Law noch nichts gehört, keinen Artikel in Haaretz von Amira Hass gelesen, von der Route 4370 bei Jerusalem, die selbst in der Ha’aretz als „Apartheid Road“ bezeichnet wird, noch nichts gehört. Dass das Jüdische Museum in Berlin als Feind Israels angesehen wird, nur weil es die palästinensische Sicht auf Jerusalem nicht verschweigt, ist ihm nicht bekannt? Stattdessen sollen die Palästinenserfreunde sich um die Flüchtlinge in Syrien kümmern? Das ist das Problem mit dem „3-D-Antisemitismustest“ – man verheddert sich allzu leicht: Als der Syrienkrieg ausbrach, haben viele an Benjamin Netanjahu appelliert, er solle palästinensische Flüchtlinge aus Syrien ins Land lassen, damit sie nicht zwischen den Fronten zerrieben werden, aber das kam natürlich nicht infrage.

All das weiß er natürlich und das ist das Unerfreulichste. Die Leute, die die israelische Politik blindwütig verteidigen, merken mit ihrem ausufernden Gebrauch des Antisemitismusvorwurfs nicht, was sie damit anrichten. Der Konstanzer Professor Wilhelm Kempf schreibt in einer Studie über den Antisemitismus in Deutschland über die „3 D“ von Natan Sharansky: „Dies hat verheerende Konsequenzen, von denen das vierte D, die Denunziation menschenrechtsbasierter Israelkritik als antisemitisch und der damit begangene Rufmord an den Kritikern, noch die geringste ist. Schwerwiegender ist die daraus resultierende Einschränkung der Meinungsfreiheit und Verhinderung eines konstruktiven Diskurses über die von den Kritikern angemahnten Kritikpunkte. Und die vielleicht schlimmste Konsequenz besteht darin, dass viele Juden in und außerhalb Israels dadurch in panische Angst versetzt werden, immer und überall nur von Antisemiten umgeben zu sein, was ihre Fähigkeit, sich auf eine Friedenslösung mit den Palästinensern einzulassen, geradezu torpediert.“ Andreas Grüneisen, Berlin

Moralische Hybris

Frederik Schindler behauptet, die Boykottbewegung sei antisemitisch. Bei aller berechtigter Kritik an dieser Bewegung, halte ich ein solches Pauschalurteil für unangebracht. Über 50 Organisationen der jüdischen Friedensbewegung, darunter auch zahlreiche in Israel selbst, haben sich der Boykottbewegung angeschlossen. Darüber hinaus das irische Parlament, der Stadtrat von Dublin, viele Städte in Spanien, darunter Córdoba und Sevilla, und in den USA ein Großteil der Evangelisch Lutherischen Kirchen. Bernie Sanders und die Demokratin Dianne Feinstein, die wohl prominentesten Vertreter der jüdischen Friedensbewegung in den USA, kämpfen dort engagiert gegen Bestrebungen, die BDS-Bewegung zu verbieten. Welche moralische Hybris reitet eigentlich die taz, der jüdischen Friedensbewegung zuzurufen, sie sei antisemitisch? Dass Schindler dann noch fordert, einer hoch angesehenen Organisation wie der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost das Bankkonto zu kündigen, ist unerträglich. Ulrich Bausch, Kirchentellinsfurt

Denunziation der Kritik

Frederik Schindlers Liste übernimmt die Liste des „Simon Wiesenthal Centers“ unkritisch. Zu BDS und Antisemitismus haben wir schon klügere Äußerungen gehört und gelesen. Könnte es sein, dass „die Delegitimierung Israels“ für Schindler und viele neben ihm aus guten Gründen zu einem heißen Thema geworden ist? Wer sein eigenes Recht über die Menschenrechte der Vereinten Nationen und deren Beschlüsse setzt, wer sein nationales Recht auch über die Thora stellt, wer damit Gefahr läuft, sich mit seiner Politik mehr und mehr zu isolieren, muss der nicht jede Kritik als „Delegitimierung“ denunzieren?

Ursula und Gerhard Vöhringer, Tübingen

Per se Antisemit?

Das ist schon längst nicht mehr raffiniert, sondern alltäglich zu erleben: Alles was gegen die Politik des Staats Israels geht, ist antisemitisch!? Warum ist man per se Antisemit, wenn man die Siedlungspolitik des israelischen Staats kritisiert? Schreibt die jüdische Religion den Politiker*innen vor, ihren Nachbarn, Palästina, zu besetzen? Das ist doch absurd! Oder anders gefragt: Wie müsste für Frederik Schindler Kritik formuliert werden, um nicht antisemitisch zu sein?

Ist es nicht perfide, wenn Politik und Religion dermaßen vermischt sind, dass jegliche Kritik oder Handlung als antisemitisch angeprangert wird? Der umstrittene BDS richtet sich also nicht gegen die jüdische Religion, sondern gegen die Siedlungspolitik der israelischen Regierung! Damit ist eigentlich alles gesagt. Noch zur Information: Die EU ist für eine Kennzeichnung von Produkten aus den besetzten Gebieten und hält, übrigens wie die Kanzlerin, Boykott für eine mögliche politische und demokratische Form, um etwas zu erreichen. Gerhard Härer, Aichtal

Gleiche Rechte für alle

Die BDS-Bewegung setzt sich für gleiche Rechte für Palästinenser ein, Rechte, die jüdischen Israelis selbstverständlich zustehen. Die Bewegung deshalb als antisemitisch zu bezeichnen, bedeutet, sich gegen die Menschenrechte der Palästinenser auszusprechen, es bedeutet die Delegitimierung der Rechte der Palästinenser. Organisationen und NGOs, wie auch die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, die die palästinensische BDS-Bewegung unterstützen, deshalb als antisemitisch zu verleumden ist skrupellos, da den Palästinensern die Menschenrechte weiterhin verweigert werden sollen.

Wenn Frederik Schindler die von ihm zitierten antisemitischen Handlungen für so bedeutungsvoll hält, dass sie unter die zehn wichtigsten der Welt aufgenommen gehören, dann hätte er besser die taz vom Vortag lesen sollen. Da ging es um die Weigerung Deutschlands, die Kinder der während der Nazizeit vertriebenen jüdischen Menschen wieder in ihre Staatsbürgerschaft aufzunehmen („Nazis, Brexit und kein deutscher Pass für Sylvia Finzi“). Für mich wäre damit der Platz 1 in der „Hitliste“ des Simon Wiesenthal Centers seit 70 Jahren belegt. Lieber arbeiten Sie sich an einer kleinen NGO ab, anstatt die wichtigen Fragen nach extremistischen Tendenzen in deutschen, palästinensischen und israelischen (Staats-)Strukturen zu stellen. Vielleicht sind diese von Ihnen nicht gestellten Fragen ja antisemitisch, aber da kennen Sie sich bestimmt besser aus. Manuela Kunkel, Stuttgart