Senatorin zu Obdachlosencamps in Berlin: „Räumung ist keine Lösung“

Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) erklärt, warum es falsch ist, wenn eine Stadt Obdachlose einfach vertreibt, und erklärt, wie es besser gehen könnte.

Ein Obdachloser liegt unter einer Decke in einem Eingang einer Kirche in Kreuzberg

Beliebter Schlafplatz: Ein Obdachloser liegt in einem Eingang einer Kirche in Kreuzberg Foto: picture alliance/Paul Zinken/dpa

taz: Frau Breitenbach, der Bezirk Mitte hat ein Lager von Obdachlosen am Hauptbahnhof nach Beschwerden kürzlich räumen lassen. War das falsch?

Elke Breitenbach: Solche Räumungen sind keine Lösung. Sie führen nur dazu, dass die Menschen an eine andere Stelle vertrieben werden und dort genauso im Elend leben. In der Rummelsburger Bucht sind wir mit dem Bezirk Lichtenberg einen ganz anderen Weg gegangen, der ausgesprochen erfolgreich ist.

Welchen denn?

Wir haben Sozialarbeiter des Trägers Karuna in das Camp der obdachlosen Menschen geschickt. Die haben geschaut, wer sich dort aufhält und was für Probleme es gibt. Überwiegend Jüngere leben in dem Camp, zeitweilig sind auch Roma da. Die Sozialarbeiter reden mit den Menschen und versuchen, mit ihnen individuelle Lösungen zu entwickeln.

Zum Beispiel?

Die Menschen sagen ja nicht, dass sie unbedingt weiter auf der Straße leben wollen. Sie wünschen sich auch eine Perspektive. Mehrere Junge sind bereits aus dem Camp weggezogen in eine feste Einrichtung von Karuna. Die anderen haben gemeinsam mit Karuna das Camp aufgeräumt. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat Toi­letten aufgestellt. Es gibt jetzt auch Holzöfen, damit die Menschen nicht frieren. Und es gibt die Zusicherung: Bis zum Ende der Kälteperiode werden sie nicht geräumt. Das ist der richtige Weg. So kann man Camps auflösen, ohne dass woanders neue Lager entstehen. Ich bedauere es, dass der Bezirk Mitte anders vorgeht.

1961 in Frankfurt/Main geboren, gelernte Erzieherin, studierte Politologin, Ex-Gewerkschaftssekretärin, ist seit Dezember 2016 Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales

Ab dem 1. Mai muss die Fläche an der Rummelsburger Bucht aber leer sein, diese Zusicherung gibt es wiederum für den Eigentümer. Was, wenn sich bis dahin nicht alle Bewohner auf eine Alternative einlassen?

Es ist illusorisch zu glauben, dass man in einer Metropole wie Berlin Obdachlosigkeit komplett abschaffen kann. Natürlich wird es einzelne Menschen geben, die aus welchem Grund auch immer keine Lösung möchten. Aber ich werde jetzt nicht darüber spekulieren, wie die Situation Ende April dort ist. Von den ursprünglich 35 Menschen konnten schon einige das Gelände verlassen. Mehrere waren krank, sie wurden erst mal in einem Hostel untergebracht, andere haben etwas für sich gefunden.

Sie haben die Sozialstadträte der Bezirke eingeladen, um über einen berlinweit einheitlichen Umgang mit Obdachlosencamps zu sprechen. Soll die Rummelsburger Bucht dafür Vorbild sein?

Das würden wir uns wünschen, allerdings entscheiden das am Ende die Bezirke. Als die Debatte über die Obdachlosen im Tiergarten hochkochte, haben wir uns mit der Innenverwaltung verständigt, dass wir natürlich nicht zusehen können, wie Camps entstehen und immer größer werden. Es kann aber auch nicht sein, dass die Camps einfach geräumt werden, ohne dass man den Menschen Unterstützung und Beratung anbietet. Wir werden immer einen Weg dazwischen suchen müssen. Wenn wir uns auf ein einheitliches Vorgehen verständigen könnten, wären wir schon einen Schritt weiter.

Der Geschäftsführer von Karuna spricht von einer Taskforce, die stadtweit im Einsatz sein könnte. Wie soll das genau aussehen?

Karuna beschäftigt unter anderem ehemalige Obdachlose. Wir erleben, dass Obdachlose auf sie viel offener reagieren. Das Vertrauen ist größer, wenn Menschen kommen, die sich in ihre Lebenssituation wirklich hineinversetzen können, das ist auch bei den Stadtteilmüttern so und den Integrationslotsen für Geflüchtete. Deshalb hätten wir gerne, etwa im Rahmen des Solidarischen Grundeinkommens, rund 30 Plätze für Obdachlosen-Lotsen, die durch die Stadt gehen, Menschen ansprechen und sie an Unterstützungseinrichtungen weiterleiten.

Die Frage ist, wo man sie alle unterbringen will. Ein Grundproblem für die Bezirke bleibt ja, dass es nicht genug Plätze für Wohnungslose gibt.

Wenn die Menschen untergebracht werden wollen, dann müssen sie auch erst einmal untergebracht werden. Punkt.

Senatorin Elke Breitenbach im Gespräch mit einer taz-Mitarbeiterin

Elke Breitenbach, seit 2016 Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in Berlin Foto: Christian Thiel

Aber wo?

Die Bezirke schicken die Menschen zurzeit häufig auch in Hostels oder Pensionen, mit denen es keine Verträge gibt, weil es in den regulären Unterkünften für Wohnungslose nicht genug freie Plätze gibt. Um dem ein Ende zu setzen, brauchen wir eine gesamtstädtische Steuerung. Dafür benötigen wir zunächst eine entsprechende Software. Wenn wir diese Technik haben, werden wir uns sämtliche Unterkünfte in der Stadt angucken. Wir werden Mindeststandards für alle Unterkünfte festlegen und Verträge abschließen. Dann kann vielleicht auch ein Hostel in eine vertragsgebundene Unterkunft umgewandelt werden.

Aber all dies schafft keine zusätzlichen Plätze.

Wir brauchen erst mal einen Überblick, welche Plätze es wo überhaupt gibt. Und wir bauen ja auch neue Unterkünfte, im Moment zwar erst einmal für Flüchtlinge, aber in ein paar Jahren, wenn die Einschränkung durch das Flüchtlingsbaurecht nicht mehr gilt, können dort auch andere Menschen einziehen und integrative Wohnformen entstehen.

Für Flüchtlinge wird zwar viel gebaut. Nur stehen die Containerdörfer und Mobilen Unterkünfte oft monatelang leer. Warum?

Es waren zeitweise 19, jetzt sind es insgesamt noch 12 Unterkünfte, die nicht voll belegt sind, weil etwa umgebaut wird. Oder weil es Baupfusch gab: Bei einer neuen Unterkunft wurden alle Küchen falsch eingebaut. Das in Ordnung zu bringen dauert eben. Bei anderen Unterkünften waren die Außenanlagen nicht fertig wie in der Leonorenstraße die Wege. Dort kam schon der Lkw mit den Möbeln, ist dann aber im Matsch stecken geblieben. Die Leute sehen nur: Die Unterkunft ist fertig, aber es ziehen keine Menschen ein. Auch ich bin nicht zufrieden damit. Doch es gibt für den Leerstand natürlich Gründe.

Dazu gehören auch die Ausschreibungen für den Betrieb der Heime, die gerichtlich angefochten werden. Warum kriegt das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) es nicht hin, rechtssicher auszuschreiben?

Wir mussten bislang keine Ausschreibung zurückziehen – das gab es bei der ersten Ausschreibung, das war noch unter meinem Vorgänger Mario Czaja.

Was ist dann das Problem?

Also: Wir schreiben aus, die Interessenten bewerben sich. Die Bewerbungen werden vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten geprüft und bewertet, dabei zählt zu 70 Prozent die Qualität und zu 30 Prozent der Preis. Wenn einer ein super Konzept hat für einen unschlagbaren Preis, muss man noch mal besonders drauf gucken, ob das überhaupt realistisch ist. Dann trifft das LAF eine Entscheidung und informiert alle Bewerber. Die, die unterlegen sind, haben das Recht, die Vergabekammer anzurufen, damit diese die Entscheidung noch mal überprüft. Das geschieht auch zuweilen.

Und dann?

Es gab zuletzt drei Unterkünfte, die tatsächlich wegen der Vergabe leerstanden. Vor der Vergabekammer waren drei Einspruchsverfahren des Betreibers ZOF anhängig. Die Firma hat am Ende aber nicht recht bekommen. Doch solange die Vergabekammer prüft, können wir tatsächlich nur abwarten. Dann dauert das alles lange.

Das LAF hat ja noch andere Probleme, etwa bei der Registrierung neuer Flüchtlinge. Das soll in einer Woche passieren, dauert aber oft Monate – obwohl nicht mehr so viele Flüchtlinge kommen und das Amt viel neues Personal hat. Woran liegt das?

Das LAF hat zwar viel Personal bekommen, aber in der Registrierung fehlen nach wie vor Leute. Da wird jetzt also noch mal aufgestockt. Hinzu kommt: In dem Amt gibt es sehr viele Quereinsteiger, viele junge Menschen. Es gibt viele in Elternzeit, einen hohen Krankenstand, Pensionäre, die ausgeholfen haben, sind zurück in den Ruhestand gegangen. Aber: An einem Problem bei der Registrierung kann niemand etwas ändern.

Nämlich?

Nachdem wir die Hangars im Dezember freigezogen hatten, kam ein Teil der Menschen in die Karl-Marx-Straße …

in ein neues Tempohome, also ein Containerdorf …

… und es dauerte nur wenige Tage, dann gab es dort die Röteln. Die anderen haben wir in die Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau gebracht, da gab es dann die Masern. Immer wenn diese Krankheiten auftreten, muss man das Gesundheitsamt im Bezirk informieren. Das entscheidet dann, ob es eine Quarantäne gibt und damit einen Belegungsstopp. Dann können die Leute auch nicht mehr registriert werden, denn dafür müssen sie persönlich zum LAF in die Bundesallee kommen. Darum war meine Priorität nicht die Dauer des Aufenthaltes im Ankunftszentrum, sondern dass wir ein vernünftiges Ankunftszentrum kriegen. Und dort müssen auch die gesundheitlichen Untersuchungen stattfinden. Ansteckende Krankheiten werden immer vorkommen.

Aber die verbreiten sich vor allem in Massenunterkünften. Wäre es nicht besser, mehrere kleine Erstaufnahmeeinrichtungen zu haben? Warum überhaupt ein großes Ankunftszentrum?

Es geht ja nicht nur um die Registrierung. Die Menschen, die herkommen, müssen auch zur medizinischen Erstuntersuchung, zum Tuberkulose-Test, zum Impfen. Ich brauche ein Ankunftszentrum, in dem ich zuerst all diese Untersuchungen plus Registrierung durchführen kann.

Jetzt hat es über zwei Jahre gedauert, bis Sie einen Ersatz für den Hangar als Ankunftszentrum gefunden haben. Aber auch die Knobelsdorf-Kaserne ist nur ein mittelmäßiges Provisorium. Hätte man das nicht früher haben können?

Nein. Wir haben ja erst seit wenigen Monaten die Entscheidung des Senats, dass es ein neues Ankunftszentrum geben wird, auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf. Als aber klar war, dass wir einen Neubau bekommen, was noch gut ein Jahr dauern wird, brauchten wir eine Übergangslösung. Die Interimslösung ist ja nicht die Kaserne, sondern es sind die sogenannten Sternhäuser auf dem Klinikgelände. Die Kaserne haben wir im Dezember nur als Ausweichquartier für die Hangars benutzt, weil wir die Menschen endlich dort herausbekommen wollten.

Wann sind also Hangar und Kaserne passé?

Unsere eigentliche Übergangslösung bis zum Neubau sind diese „Sternhäuser“, schon auf dem selben Standort wie das künftige Ankunftszentrum. Noch sind in den Gebäuden Geflüchtete untergebracht, aber bis spätestens Ende des ersten Quartals können diese Menschen in zwei neu gebaute Unterkünfte im Bezirk umziehen – dann werden die Sternhäuser unser provisorisches Ankunftszentrum.

Sie schildern die Mühen der Ebene. Rot-Rot-Grün hat bald Halbzeit. Gibt es etwas, was Sie in den verbleibenden zweieinhalb Jahren unbedingt schaffen wollen?

Einiges von dem, was wir jetzt entwickelt haben, steht noch auf dem Papier, sei es das Gesamtkonzept zur Partizipation und Integration Geflüchteter oder die Strategie im Umgang mit Wohnungslosigkeit. Die spannende Frage ist, wie wir all die Maßnahmen umsetzen. Ich will schließlich keine Märchenbücher schreiben, sondern wirklich etwas ändern, ich will Ergebnisse sehen. Sonst hätte ich nicht Senatorin werden müssen.

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