Kommentar Obdachlose aus EU-Staaten: Ein klitzekleiner Sozialausgleich

Viele Obdachlose in Deutschland kommen aus Osteuropa. Als eines der reichsten EU-Länder sollte man hier bessere Strukturen für sie schaffen.

Eine Helferin spricht mit einem Mann, der draußen auf dem Boden vor einem Geschäft sitzt

Eine Helferin spricht am 19.12.2017 in Hannover mit einem Obdachlosen aus Osteuropa Foto: dpa

Das Thema Obdachlosigkeit eignet sich für das Herumreichen von Klischees, aber man kann sich auch für eine völlig neue Perspektive entscheiden. In den Metropolen kommt inzwischen die Hälfte der Obdachlosen aus dem östlichen EU-Ausland, auch dies ist eine Folge der Freizügigkeit. Inwieweit soll man hierzulande nun diese EU-BürgerInnen mit Steuergeldern unterstützen? Wer der Frage nachgeht, stößt auf die Ambivalenz, die im reichen Deutschland gegenüber den ärmeren östlichen Nachbarländern zutage tritt.

Obdachlose EU-BürgerInnen haben in der Regel keinen Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen. Ihnen bleibt nur das karitative System: die Suppenküchen, die Notübernachtungen, der Verkauf von Straßenzeitungen, das Betteln. In der politischen Debatte wird vor mehr Unterstützung, mehr Schlafplätzen, mehr medizinischer Betreuung, mehr Tagescafés für die obdachlosen EU-BürgerInnen gewarnt, weil dies einen „Sogeffekt“ auslösen und dann noch mehr Arme aus der EU nach Deutschland kommen könnten, um Himmels willen! Dahinter verbirgt sich ein Unbehagen, denn tief drinnen weiß man, dass das materielle Gefälle zu den Nachbarländern ungerecht ist und eine der Schicksalhaftigkeiten des Lebens, von denen wir ganz gut profitieren.

Wenn billige Handwerker aus der östlichen EU kommen, um die Heimsauna einzubauen oder das Bad zu renovieren, bitte gerne, hereinspaziert! Oder wenn sich Pflegekräfte aus Rumänien oder Polen in den Heimen bewerben, gerne und vielen Dank! Diese Angebote sind eine Folge des Wohlstandgefälles zu diesen Ländern.

Wegen dieses Gefälles aber halten sich verarmte Menschen aus der EU eben vielleicht auch länger und häufiger in Deutschland auf, als sie es sonst täten. Weil es hier mehr Gelegenheitsjobs gibt, aber auch weil die Suppenküchen und Schlafplätze im Herkunftsland noch schlechter sind und die polizeiliche Verfolgung dort noch unangenehmer als in Deutschland. Die Metropolen hierzulande könnten sich daher durchaus ein paar Tagescafés und Schlafplätze mehr leisten für diese Klientel, gewissermaßen als eine Art klitzekleinen sozialen Ausgleich innerhalb der EU.

Auch für Privatleute ist ein solcher Sozialausgleich möglich: Man stecke sich einfach ein paar 50-Cent-Stücke oder Euromünzen locker in die Tasche und verteile sie dann bei Gelegenheit auf der Straße oder im U-Bahnhof. Das ist nie falsch. Armut lässt sich nicht wegschicken, sie bleibt die Kehrseite des Wohlstands. Wir müssen mit der EU-weiten Armut koexistieren. Aufgeklärte EU-BürgerInnen wissen das auch.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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