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Zweite Chance für Laib und Leben

Das Projekt „Brotretter“ schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Ehemalige Obdachlose verkaufen Brot vom Vortag in Hamburg und Lübeck.

Von Frieda Ahrens

Seit gut zwei Jahren arbeitet Stefan Rüdiger für die Bäckerei Junge, nach eigenen Angaben „eines der größten Bäckerei- und Snackunternehmen Norddeutschlands“, ansässig in Lübeck. Eine Ausbildung hat Rüdiger nicht, er brach davon sogar gleich zwei ab und schlug sich immer wieder mit Aushilfsjobs durch. „Es war bei mir lange ein Auf und Ab“, sagt der 37-Jährige. „Teilweise waren die Umstände Schuld, teilweise waren es auch schlechte Entscheidungen.“

In einer besonders schwierigen Phase wandte er sich Hilfe suchend an die Vorwerker Diakonie in Lübeck. Dort begann er als Ein-Euro-Jobber als Nachtwache im Obdachlosenhaus – der Beginn einer „bis jetzt andauernden ‚Auf‘-Phase“, sagt er. Rüdiger bewährte sich und konnte das Vertrauen der SozialhelferInnen der Diakonie gewinnen. Und bekam schließlich einen Job bei den „Brotrettern“.

Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der Lübecker Diakonie der Vorwerker, dem Hamburger Obdachlosenhilfe-Projekt Hinz&Kunzt und der Bäckerei Junge. Diese betreibt in Norddeutschland und Berlin 200 Filialen und beschäftigt mehr als 4.000 MitarbeiterInnen. Um ihren KundInnen Gebäck in guter Qualität bis zum Ende der Öffnungszeiten anbieten zu können, erklärt Geschäftsführer Tobias Schulz, nehme man auch Überproduktion in Kauf: Man wolle auch nach 18 Uhr noch genug frische Ware anbieten können.

„Wir haben von Anfang an mit verschiedenen Tafeln zusammengearbeitet, damit wir das übrig gebliebene Brot nicht wegwerfen müssen“, sagt Schulz. „Aber ich stand am Ende des Tages trotzdem immer noch vor einem Container voller Brötchen, die sich nicht verteilen ließen.“ Deshalb hat Schulz die Brotretter ins Leben gerufen.

Und wie funktioniert diese Rettung? Die Bäckerei bringt übrig gebliebene Backwaren aus allen Filialen nach Lübeck, dort wird sie sortiert. Und am nächsten Morgen kommen Brot, Brötchen und Kuchen dann in eigene Brotretter-Filialen. Die erste eröffnete vor zweieinhalb Jahren in Hamburg-Bergedorf, ein halbes Jahr später eine in Lübeck. Hier wird das Gebäck zum kleinen Preis verkauft, nichts kostet über zwei Euro. Hinter den Theken stehen dann VerkäuferInnen, vermittelt von der Lübecker Diakonie oder, in Hamburg, Hinz&Kunzt – unterstützt werden sie von sechs „richtigen“ Junge-MitarbeiterInnen.

„In den Läden sollen auch Menschen wieder einen Arbeitsplatz finden, die es nicht immer so leicht im Leben hatten“, sagt Schulz. Sie werden zunächst für ein Jahr bei Junge eingestellt. Wenn die Zusammenarbeit gut läuft, die Brotretter sich also bewähren, dann übernimmt die Bäckerei sie auf echte Jobs in einer anderen Filiale.

Profit macht Junge nach eigenen Angaben keinen mit den Brotrettern – eher im Gegenteil: Junge investiert jährlich einen fünfstelligen Betrag in das Projekt. „Das ist es uns wert“, sagt Schulz, „weil es täglich etwas Sinnvolles bewegt“.

Stephan Karrenbauer, Projektleiter bei Hinz&Kunzt in Hamburg, erzählt, man wolle mit dem Projekt „vor allem Osteuropäer fördern“, auch weil diese Menschen immer wieder in der Kritik stünden. „Und wir zeigen hier: Die Leute wollen einfach arbeiten.“ Zwei dieser „Hinz&Künztler“ hätten auch schon die Möglichkeit gehabt, in richtige Jobs übernommen zu werden. „Die beiden haben sich aber anderweitig orientiert und einen anderen Job bekommen“, erzählt Karrenbauer – aber die Brotretter seien für sie ein Einstieg gewesen.

Stefan Rüdiger ist bei Junge geblieben. Er startete bei den Brotrettern, als deren zweite Filiale in Lübeck eröffnete Seit gut einem Jahr arbeitet er nun schon in einer Junge-Filiale in Bad Schwartau. Für ihn nicht nur der Start in den ersten Arbeitsmarkt, sondern auch die Rückkehr in ein geregeltes Leben. Und so steht er voller Überzeugung hinter dem Projekt: „Keine Lebensmittelverschwendung – und Menschen haben die Chance, wieder ins Berufsleben einzusteigen“, sagt er. „Außerdem wird hier auch noch Menschen, die es sich nicht leisten können, gutes Gebäck zum kleinen Preis angeboten.“

Das Projekt kommt nicht nur bei den Beteiligten gut an. Im Dezember kürte die Volkswagen-Nutzfahrzeugsparte die Brotretter zum besten sozialen Projekt bundesweit –und schenkte ihnen einen nagelneuen T6-Bulli, der, klar, auch direkt zum Einsatz kam.