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: Projekt Volkspartei

Was den von Björn Höcke angeführten Flügel wirklich gefährlich macht: seine sozialpolitischen Vorstellungen und Kapitalismuskritik von rechts

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Thomas Wagner, geb. 1967, ist Kultursoziologe und freier Autor. 2017 erschien sein viel diskutiertes Buch „Die Angstmacher. 1968 und die Neue Rechten“.

Seit fünf Jahren erhitzt die AfD die Gemüter. Seit 2017 sitzt sie im Deutschen Bundestag. 2019 könnte zu ihrem Schicksalsjahr werden. Denn in den kommenden zwölf Monaten soll entschieden werden, welchen sozial- und wirtschaftspolitischen Kurs die Partei einschlägt. Bislang stehen sich zwei Gruppen ziemlich frontal gegenüber. Die einen verfolgen nach wie vor dieselbe marktradikale Agenda wie die eurokritische Gründergeneration um den glücklosen Parteivorsitzenden Bernd Lucke und den ehemaligen Industrielobbyisten Hans-Olaf Henkel. Diese Position, die von der Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Alice Weidel sowie dem Bundessprecher Jörg Meuthen eingenommen wird, hat ihren Niederschlag in der Programmatik der Partei gefunden.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die für eine sozialpolitische Neuausrichtung der Partei eintreten. Der bekannteste Kopf dieser immer stärker gewordenen Strömung ist der thüringische Fraktionsvorsitzende Björn Höcke. Der Rechtsaußen empfiehlt seinen Anhängern seit einiger Zeit, „tiefe Einsichten in das Werk des italie­nischen Kulturmarxisten Antonio Gramsci“ zu nehmen, und polemisiert gegen Niedriglöhne, die Ausweitung von Leiharbeit sowie die Aushöhlung der gesetzlichen Rentenversicherung. Was ist davon zu halten, wenn er seine Partei dazu auffordert, „die sozialen Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung gegen die zerstörerischen Kräfte des Raubtierkapitalismus zu verteidigen“?

Zunächst geht es um die Erweiterung des eigenen Wählerspektrums. Nachdem man so ziemlich alles eingesammelt hat, was früher seine Stimme der NPD oder anderen Rechtsaußenparteien gegeben hat, geht es nun darum, auch jene Menschen ansprechen, die sich bis dahin eher der SPD oder der Linkspartei verbunden gefühlt hatten. Die im Zuge der Durchsetzung der Agenda 2010 für große Teile ihrer einstigen Wählerklientel unglaubwürdig gewordene Sozialdemokratie soll auf ihrem traditionellen Kerngebiet aus dem Feld geschlagen werden: der „sozialen Frage“.

Unterstützt wird der von Höcke angeführte radikale Flügel von Ideengebern aus der neuen Rechten. Es war der von dem mit Höcke befreundeten Verleger Götz Kubitschek mitinitiierte Verein „Einprozent“, der sich schon im Herbst 2017 mit einer Kampagne für die Wahl rechter Betriebsräte starkmachte und dafür auch mit Oliver Hilburgers rechter Gewerkschaftsinitiative Zentrum Automobil kooperierte. Ein größerer Erfolg blieb zunächst aus. Nur im Daimler-Werk Untertürkheim und einigen wenigen anderen Betrieben konnte das Zentrum Automobil Stimmenzuwächse erzielen und eigene Betriebsräte stellen. Ein Grund zur Entwarnung ist das aber leider nicht. Denn die Zustimmung zu AfD-Positionen ist selbst unter gewerkschaftlich organisierten und teilweise in Betriebsräten aktiven Arbeitern bemerkenswert hoch, wie eine von dem Soziologen Klaus Dörre durchgeführte Untersuchung zeigt.

Björn Höcke und sein Umfeld wissen das. Sie glauben, dass die Linke im Osten für große Teile ihrer traditionellen Wählerklientel so unglaubwürdig geworden ist, dass die AfD nur ein brachliegendes Feld besetzen muss, um dort stärkste Kraft zu werden. Wer Höcke vor allem wegen seiner geschichtsrevisionistischen Äußerungen für gefährlich hält, unterschätzt die Sprengkraft dieser politischen Strategie. Ob diese fruchtet, werden die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen zeigen. Bleibt die Frage, wie der Machtkampf der rechten Kapitalismuskritiker mit den nationalliberalen Kräften am Ende ausgeht.

Dass die Partei über diesem Streit zerbricht, sich spaltet und wieder zurück in die Bedeutungslosigkeit fällt, ist nicht ausgeschlossen, jedoch wenig wahrscheinlich. Die Akteure wissen, was sie zu verlieren haben. Doch heftige Kämpfe mit unerwarteten Volten und überraschenden Wechseln im Führungspersonal sind zu erwarten.

Sichtbar werden die unterschiedlichen sozialpolitischen Richtungen in der Partei vor allem an der Rentenfrage. Während der Bundesvorsitzende, Jörg Meuthen, dem umlagenfinanzierten System eine Absage erteilt, setzt sich Höcke für eine Erhöhung des gesetzlichen Rentenniveaus ein, die allerdings Deutsche bevorzugt. Wohin die Reise sozialpolitisch geht, soll auf einem für das Frühjahr angekündigten Parteitag geklärt werden.

Am wahrscheinlichsten ist, dass die Reibung der Opponenten die Partei schließlich stabilisiert. Am Ende könnte man sich nämlich in der Mitte finden. Die Formel dafür wurde in der alten Bundesrepublik erfunden. Sie heißt „soziale Marktwirtschaft“ und wäre der entscheidende Schritt, um aus der Protest- und Sammlungsbewegung eine stabile rechte Volkspartei zu machen. Als solche müsste es ihr gelingen, unterschiedliche – ja gegensätzliche – wirtschaftliche und soziale Interessengruppen in den eigenen Reihen zu versammeln und zwischen weit auseinanderliegenden Postionen zu vermitteln. Die politische Konkurrenz hat vorgemacht, wie das praktisch funktioniert. In der CDU reibt sich die Mittelstandsvereinigung an den Sozialausschüssen, in der SPD der Seeheimer Kreis an der parlamentarischen Linken. Erst durch ein vergleichbares institutionelles Arrangement würde sich die AfD dauerhaft konsolidieren können.

Die Sozialdemokratie soll auf ihrem traditionellen Kerngebiet geschlagen werden: der „sozialen Frage“

Aufgrund diese Kalküls hat sich Alexander Gauland – was viele Beobachter zunächst überraschte – nie davor gescheut, mit dem Rechtsaußenflügel seiner Partei eng zusammenzuarbeiten. Obwohl das manche bürgerliche Sympathisanten der Partei abgeschreckt hat. Aus seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Strippenzieher in der hessischen CDU weiß der AfD-Parteivorsitzende, was es braucht, um eine Volkspartei zu schmieden und auf Dauer zusammenzuhalten.

Will die politische Linke den Kampf gegen rechts gewinnen, muss sie wieder eine eigene überzeugende Antwort auf die soziale Frage formulieren.