Die Deutschen müssen bei Laune gehalten werden

Was unterscheidet den Bürger vom Affen? Oliver Frljić’ „Ein Bericht für eine Akademie“ am Maxim Gorki Theater ist ein buntes, kurzweiliges Stück mit Texten von Kafka und Coetzee

Jonas Dassler ist gerade überall zu sehen: als Affe Rotpeter und Massenmörder Fritz Honka Foto: Ute Langkafel / Maifoto

Von Doris Akrap

Eine lebendige Paviandame, zwei nackte Männer, sehr viel Geschrei, Getöse, Gegesse und Gerenne gab es. Außerdem keine zehn Sekunden am Stück, in denen nicht gesprochen wurde, und das bei einer fast zwei Stunden dauernden Vorstellung ohne Pause. Oliver Frljić’ „Ein Bericht für eine Akademie“, das gerade am Maxim Gorki Theater Premiere hatte, ist ein irre buntes, lautes, kurzweiliges Stück, das vor allem aus Text besteht. Um die Menge des Gesprochenen abzubilden, braucht es fast 50 Word-Seiten, und sie besteht aus mehreren Texten Franz Kafkas, J. M. Coet­zees und aus der Feder des Regisseurs selbst.

Erzählt wird die Geschichte des Rotpeter, seine Entwicklung vom Affen zum Menschen, der in die Familie des Tierimporteurs und Tierparkbetreibers Hagenbeck einheiratet und später sogar Bundestagsabgeordneter wird. Es geht schlicht und ergreifend darum, festzustellen, dass der Mensch das Animalische nicht vollständig abgelegt hat, es in Sex, Gewalt und Macht immer wieder zum Vorschein kommt, und dass es nur einen Windstoß braucht, um die bürgerliche Fassade des Gebildeten, Belesenen und Erlesenen umzuwerfen und den Bananen fressenden Affen und den mordenden Tiger zu wecken.

Allein wie sicher und energiegeladen die wenigen Schauspieler, darunter der überaus brillante Jonas Dassler, der den Rotpeter spielt und derzeit auch in der Rolle des Fritz Honka in dem umstrittenen Film „Der goldene Handschuh“ auf der Berlinale zu sehen ist, die Texte darboten, war schon umwerfend. Am Ende fällt dann aber auch noch die komplette, mehrere Meter hohe und breite, das ganze Stück über den Hintergrund bildende Bücherwand um. Beziehungsweise kippen bis auf eine Hand voll Exemplare alle Bücher reihenweise aus den Regalen und bildeten auf der Bühne einen Bücherberg.

Während dieses schön anzuschauenden Zerfalls der bürgerlichen Kulisse entblättert sich dahinter ein goldener Käfig in Form des Reichstags. Darin: die Paviandame Jeany, eine Banane essend, die ihr der Dompteur zuvor in den Käfig gereicht hatte. Vor ihr steht der Bundestagsabgeordnete, der eine flammende Rede für die Aufnahme von Geflüchteten hält.

Weltweit würden gut ausgebildete, fleißige, talentierte Menschen davon träumen, „Teil der deutschen Geschichte zu werden“. Nicht nur wegen ihres persönlichen Vorteils. Sondern „weil sie wissen: Ein stabiles und erfolgreiches Deutschland garantiert Stabilität in der Welt, auch in ihren Heimatländern. Deutschland muss mehr so denken wie jene, die es stark gemacht haben: seine Unternehmer. Wir brauchen Zuwanderung, wir brauchen die Besten, damit Deutschland für die Welt bleiben kann, was es jetzt ist: Leitbild und Vorbild.“

Damit endet das Stück, es schließt sich ein Kreis. Zu Anfang wird nämlich mittels eines bearbeiteten Auszugs aus dem Roman „Elisabeth Costello“ des südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee konstatiert, dass die Deutschen aufgrund ihres Verbrechens gegen die Menschheit außerhalb dieser stehen würden. Sie müssten erst etwas Besonderes tun oder sein, „ehe man sie wieder in die Menschengemeinschaft aufnehmen kann“.

Die vordergründige Provokation in dem Text von Coetzee ist die, dass die Verbrechen der Deutschen in den Konzentrationslagern mit den Verbrechen an den Tieren durch Massenzucht und Massenschlachtung gleichgesetzt werden. Indem sie andere wie Vieh behandelt hätten, seien die Deutschen selbst zu Vieh geworden. Deshalb sei der Vergleich völlig legitim.

Nun lässt sich in der Tat nicht von der Hand weisen, dass die Massentierhaltung mehr Leute moralisch empört als das Massensterben im Mittelmeer. Vegetarische und vegane Ernährung gehört mittlerweile zum Savoir- vivre. Anders als das Bekämpfen von Fluchtursachen.

Oliver Frljić’ Einschätzung ist, dass man ihn und seine Ansätze so lange gut fand, wie es um den Balkan ging

Dem aus Kroatien stammenden Oliver Flrjić sagt man gerne nach, einen Hang zur Provokation zu haben. In Polen ist er unter anderem wegen „Gotteslästerung“ eine Persona non grata. Sein Stück „Eure Gewalt / Unsere Gewalt“, in dem er die islamische mit der christlichen Ikonografie verwob, die Indienstnahme von Flüchtlingen auf Theaterbühnen kritisierte und eine Frau eine Deutschlandfahne aus der Vagina ziehen ließ, fanden viele aus der Theaterwelt nicht satisfaktionsfähig.

Frljic schmiss 2016 den Job des Intendanten des kroatischen Nationaltheaters in Rijeka hin, weil er die politische Einmischung in seine Arbeit nicht länger mitmachen wollte. Schon vorher waren seine Stücke und Inszenierungen in Europa, aber vor allem in Deutschland sehr gefragt. Seine Einschätzung ist, dass man ihn und seine Ansätze so lange gut fand, wie es um den Balkan ging. In dem Moment, in dem Frljic die westeuropäischen und vor allem die deutsche Gesellschaft zum Thema auf der Bühne gemacht habe, verlor er den Status des edlen Wilden vom Balkan, den man für seine Wildheit und Radikalität bewunderte.

Die deutsche Lehre aus ­Auschwitz, so könnte man Frljić’ „Ein Bericht für eine Akademie“ interpretieren, besteht in der Drohung, dass, wenn es Deutschland schlecht geht, es auch jedem anderen auf der Welt schnell wieder an den Kragen gehen könnte. Die Deutschen müssen immer schön bei Laune, ihre Wirtschaft auf Kosten anderer am Laufen gehalten werden, sonst könnten sie wieder zu Vieh werden.

Das ist zwar auch schon des Öfteren gesagt worden. Erfrischend ist es aber trotzdem, es mal wieder zu hören. Denn auch die guten Deutschen werden immer noch fuchsteufelswild, wenn man ihnen ihren Status als Weltmeister der Aufarbeitung der eigenen Verbrechen vermiest. Denn was Auschwitz gewesen ist, ob es sich im ehemaligen Jugoslawien oder in Ruanda wiederholt hat und womit es ansonsten zu vergleichen ist, das bestimmen immer noch die Deutschen.

Wieder am 21. Februar, 7. und 30. März