Kohlekommission und RWE: Kein Friede in den Dörfern

Der Konsens in der Kommission sollte den Streit um den Hambacher Forst beenden. Aber RWE reißt weiter Dörfer ab und Aktivisten besetzen Bagger.

Bagger schaufelt Erdreich ab

Gundi Gundermann wäre entzückt: baggern, baggern, baggern. In Hambach schafft es nur Konflikte Foto: Oliver Berg/dpa

KEYENBERG, BERLIN taz | Den letzten Nagel biegt der Aktivist im Hambacher Forst mit der Hand um. Dann ist das Holzkreuz fertig, der Mann nimmt es mit. Seit Tagen wächst die Zahl der Kreuze im umkämpften Wald neben dem Braunkohletagebau Hambach: Das gelbe X hängt hier am Baum und da am gespannten Netz, es lehnt dort am Stamm und klemmt drüben zwischen Zweigen. „Wir werden uns auf dieses miese Spiel nicht einlassen“, sagt Clumsy. So nennt sich der Aktivist, der seit sieben Jahren im Wald lebt. „Von wegen 'entweder Wald oder Dörfer’.“

In Nordrhein-Westfalen ­haben Um­weltaktivist*innen und An­woh­ner*in­nen die längste Zeit getrennt protestiert. Jetzt trifft man sich für gemeinsamen Protest. Denn sie haben das Gefühl, dass Tagebaubetreiber RWE und die Politik sie gegeneinander ausspielen wollen. Das gelbe Kreuz, das nun im Wald hängt, benutzen die Menschen in den zur Umsiedlung vorgesehenen Dörfern schon lange als Symbol des Widerstands. Eines dieser Dörfer ist Keyenberg am Tagebau Garzweiler.

Hier wohnt Norbert Winzen auf einem Hof aus denkmalgeschützten Vierkanthäusern: Drei Generationen seiner Familie leben aktuell hier, dar­unter sieben Kinder. Die Winzens besitzen Tausende Quadratmeter an landwirtschaftlichen Nutzflächen in Keyenberg. Für das neue Dorf, in das die Anwohner*innen umgesiedelt werden sollen, bekommen sie kein Angebot von RWE, berichtet Norbert Winzen. „Wir gehören zu denen, die hier zu viel Grund haben, um ihn zu ersetzen“, sagt Norbert Winzen. „Auf die Weise werden viele aus der Gemeinschaft gerissen, die nicht verkaufen wollen.“

Seit der Veröffentlichung des Abschlussberichtes der Kohlekommission läuft ein Deutungsstreit. Um möglichst alle Teilnehmenden zur Unterzeichnung zu bewegen, hat man viele Stellen schwammig formuliert. So heißt es, der Erhalt des Waldes am Tagebau Hambach sei „wünschenswert“, und mit den Dorfbewohnern am Tagebau Garzweiler solle gesprochen werden.

Druck auf die Dörfer hat sich erhöht

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat errechnet, dass sowohl der Wald als auch die Dörfer erhalten bleiben können und die bereits erschlossenen Tagebauflächen bis zum vereinbarten Ausstieg genug Kohle für die Kraftwerke liefern würden. Doch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) spielt den Wald und die Dörfer gegeneinander aus. „Wenn ein Gebiet herausgenommen wird, wird der Druck auf andere Gebiete höher“, meint er – und fügt hinzu, zu den Dörfern gebe es im Bericht der Kommission „nur eine allgemeine Beschreibung, aber keine Zielvorgabe“.

Der Druck auf die Dörfer hat sich tatsächlich erhöht. In Keyenberg installiert RWE gerade Grundwasserpumpen. Die braucht man nur, wenn die Dörfer abgebaggert werden sollten. „Seit der Veröffentlichung des Berichts ist es noch mal schlimmer geworden“, sagt Winzen. „Das Dorf ist Baulärm, Hämmern, Rattern jeden Tag.“ Denn im Bergrecht gelten keine Ruhezeiten. „Wir haben hier Kinder, und meine Mutter ist 75, die hält das kaum noch aus“, berichtet der Anwohner. „Ich tu mich schwer mit dem Wort ‚Schikane‘, aber dass so was in einem demokratischen Land möglich ist, hätte ich nie gedacht.“

Auch der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger ist empört, dass RWE im Garzweiler Bereich mit weiteren Abbaggerungen Fakten schafft. „Damit wird der Beschluss der Kohlekommission infrage gestellt“, sagt er am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser und DNR-Präsident Kay Niebert; die drei hatten die Umweltverbände in der Kommission vertreten.

„Die Zustimmung zum Kompromiss ist uns Verbänden nicht leicht gefallen“, sagt Martin Kaiser von Greenpeace. Dass die Verbände schließlich doch ihr Ja gaben, lag nur am schnellen Einstieg in den Ausstieg, den der Kompromiss vorsieht: Bis 2022 sollen – zusätzlich zu ohnehin schon geplanten Stilllegungen – Braunkohlewerke im Umfang von drei Gigawatt vom Netz genommen werden, und zwar allesamt im Westen. Darüber bestand in der Kommission Einigkeit.

In Manheim fallen Häuser

Doch genau an diesem zentralen Punkt ruderten die nordrhein-westfälische Landesregierung und RWE in den letzten Tagen zurück: Man wolle bei den ältesten Braunkohleblöcken Niederaußem und Neurath nun doch nur 2,4 Gigawatt zusätzlich abschalten. Laut Kaiser würde damit beim Werk Neurath ein zusätzlicher Block am Netz bleiben. Damit ginge der Plan, sowohl den Wald als auch die Dörfer zu erhalten, nicht mehr auf. „So hätte ich den Kompromiss nicht mitgetragen“, sagt Antje Grothus, die für die örtliche Bürgerinitiative Buirer für Buir in der Kommission saß.

Nicht nur bei Garzweiler, auch am Tagebau Hambach laufen die Abrissarbeiten durch RWE. In Manheim fallen Häuser, in Morschenich Bäume. Obwohl in beiden Orten auch noch alteingesessene Anwohner*innen leben und insgesamt noch über 100 Geflüchtete aus Krisenregionen. Und obwohl Manheim und Morschenich ohnehin bleiben müssten, wenn der Hambacher Forst bliebe: Dass man nicht um den Wald herumbaggern könne, hat RWE selbst gesagt.

Ein Sprecher von RWE sagte der taz nun, die Orte hinter dem Wald wolle man komplett umsiedeln und abreißen, egal was komme. Zur Situation der fünf Dörfer am Tagebau Garzweiler zeige der Kommissionsbericht, „dass alle Umsiedlungen planmäßig und vollständig weiterlaufen können, da die unter den Umsiedlungsorten liegende Kohle schon in den nächsten Jahren zur Deckung des Bedarfs benötigt wird“. Neben dieser klar unzutreffenden Behauptung erklärt der RWE-Sprecher weiter, die Umsiedlungen zu stoppen könne auch „keinesfalls im Interesse der Betroffenen sein“.

Dass RWE auf Abriss aller Dörfer besteht, ist tatsächlich nicht im Hinblick auf Kohleabbau zu verstehen – auch wenn das Unternehmen die Maßnahmen damit rechtfertigt. Im Hintergrund wird schon der nächste Kampf geführt. Denn für den Strukturwandel in der Region wird dringend viel Fläche benötigt. Und die ist knapp. Durch die komplette Inbesitznahme der Flächen der alten Dörfer würde sich RWE also langfristig politischen Einfluss sichern, auch lange nach dem Kohleausstieg.

RWE schafft Fakten

Was da laufe, sei ein großes Flächen­aneignungsprogramm, sagt Antje Grothus aus Buir. „Im Moment bin ich sehr enttäuscht. Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Landesregierung so wenig um die Betroffenen vor Ort kümmern würde, während RWE immer weiter Fakten schafft“, sagt sie.

Auch in den östlichen Braunkohlegebieten, wo in den nächsten Jahren zunächst gar keine Stilllegungen geplant sind, bringen sich Aktivist*innen derzeit in Stellung. Vor rund zwei Wochen besetzten hier 40 Aktivist*innen von „Ende Gelände“ im Morgengrauen vor Schichtbeginn Schaufelbagger in drei Tagebauen. 23 Menschen nahm die Polizei in Gewahrsam, bis heute sitzen drei von ihnen, die ihre Personalien nicht angeben wollen, in Cottbus in Untersuchungshaft.

Nike Mahlhaus ist Teil von „Ende Gelände“. Auch sie war bei der Aktion dabei, zwar nicht um vier Uhr morgens vor Schichtbeginn, als die Ak­ti­vis­t*in­nen auf die Bagger kletterten, aber etwas später am Grubenrand, um Statements abzugeben. „Wir haben den Betreiber Leag angerufen und gesagt, dass die Bagger an diesem Tag stillstehen“, erzählt sie. Das dauerte zum Teil bis in die Abendstunden an. Die Besetzung war Teil einer Aktionswoche, mit der „Ende Gelände“ auf den Kohlekompromiss reagierte. Gerade für die Lausitz stehe im Abschlussbericht kein verbindliches Szenario für den Ausstieg, sagt Mahlhaus. „Es geht jetzt darum, hier den Abschaltplan politisch zu beeinflussen und zu beschleunigen.“

Jana Bosse, die derzeit zu Umweltbewegungen promoviert, sieht gerade für diese Gegend weitere Proteste kommen. „Für die Lausitz ist der Kohlekompromiss eine totale Katastrophe“, sagt sie. Zwar wird auch für die rheinischen Gebiete um Schließungen bis 2022 gerungen, für die Lausitz aber bleibt so gut wie alles offen. Die Entscheidungen würden bei den Konzernen selbst liegen, so Bosse. Anders als das ­Rheinland, das den Kohle-Beschäftigten als ­Ballungsgebiet zumindest Alternativen auf dem Arbeitsmarkt bietet, gilt die Lausitz als strukturschwache Region, die immer mehr Menschen verlassen.

„Ein historischer Moment“

Der Kampf gegen die Kohle gestaltet sich hier schwierig. „In Gesamtdeutschland sind zwei Drittel der Bevölkerung für das Kohle-Aus, in der Lausitz nur ein Drittel“, sagt Bosse. „Dort wird seit Jahrhunderten Kohle gefördert.“ Zu DDR-Zeiten sei sie das Rückgrat der Stromversorgung gewesen. „Da schwingt viel DDR-Stolz mit.“

Viele Dörfer würden auch nach dem Kompromiss nicht wissen, ob sie den Baggern noch zum Opfer fallen werden, kritisiert Aktivistin Mahlhaus. „Die Bewohner haben gehofft, dass durch das Ergebnis endlich klar wird, ob sie umziehen müssen.“ Dörfer wie Pödelwitz oder Proschim kommen im Abschlussbericht aber gar nicht vor. Mit ihnen wolle sich „Ende Gelände“ weiterhin solidarisch zeigen, sagt Mahlhaus. Gerade weil hier so vieles unklar bleibt, müsse die Bewegung präsent bleiben.

Kai Niebert vom Deutschen Naturschutzring (DNR) betonte am Montag in Berlin, dass auch im Osten mit dem Tagebau Jänschwalde Mitte der 2020er Jahre mit Abschaltungen begonnen werden müsse, damit die Klimaziele erreichbar bleiben. Vor allem müssten jetzt aber die Zusagen im Westen schnell umgesetzt werden, um den mühsam erreichten Kohlekonsens nicht zu gefährden. „Das ist ein historischer Moment“, sagte Niebert. „Die Regierung sollte ihn nutzen.“

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